meinem "Bekannten" D. gewidmet:
Kurzfristig hatte ich beschlossen, mein Leben zu beenden oder zumindest mein Leben massiv umzuschmeißen. Dieser Gedanke war mir nachts gekommen, als ich nicht schlafen konnte. Natürlich konnte ich nicht schlafen! Meine Welt ist nämlich mit einem Mal zerstört worden. Das schöne, heile Glück ist zerplatzt wie eine Seifenblase.
Jetzt sitze ich auf der Straße – im wahrsten Sinne des Wortes. Ich sitze auf der Straße, mitten auf einer befahrenen Kreuzung, im Schneidersitz. Autos hupen, Leute wollen mich von der Straße wegziehen, andere glotzen einfach nur. Aber ich lasse mich nicht verunsichern, weil mir im Moment wirklich alles egal ist.
Wer ist daran schuld? Das tut nichts Großes mehr zur Sache. Momentan bin ich der festen Überzeugung, dass ich nie darüber hinweg kommen werde, dass meine große Liebe nichts von mir wissen will. Es ist wirklich verrückt. Ich habe ihn nie bedrängt, hätte ihm alle Zeit der Welt gelassen. Er hat mir andauernd Hoffnungen gemacht. Wahrscheinlich hat ihm das einfach geschmeichelt, wenn ich ihm immer wieder und doch nicht zu oft gesagt habe, dass ich ihn liebe. Einmal habe ich ihm sogar ein Liebesgedicht geschrieben. Ganz persönlich, ganz liebevoll bedacht. Ich liebe ihn wirklich. Durch seine immer währenden Hoffnungsandeutungen habe ich natürlich nicht mit meinen kleinen Geständnissen aufgehört. Er hat von Anfang an gewusst, was ich fühle und was ich denke.
Und dann auf einmal muss ich es wohl übertrieben haben. Meine Geduld war auf einmal äußerst angespannt. Ich war eifersüchtig und konnte es irgendwann nicht mehr ertragen, nicht mit ihm zusammen zu sein. Dann hat er mich auf einmal ignoriert. Einfach nur ignoriert. Es war schrecklich. Dabei liebe ich ihn schon so lange. Es ist wie eine Krankheit, wie ein gemeiner Virus.
Ich frage mich, wie schnell denn die Zeit vergangen ist. Und ich habe nichts gelernt. Ich bin nicht schlauer oder reifer geworden. Wie denn auch, wenn ich bisher von meiner ersten großen Liebe enttäuscht worden bin?
Ein älterer Herr zückt sein Mobiltelefon und wählt allem Anschein nach die Nummer der Polizei. Es ist mir egal. Von mir aus kann ich morgen in der Zeitung stehen. Von mir aus werde ich jetzt gleich aufs Polizeirevier gebracht. Es ist mir egal. Einfach nur egal.
Allmählich weiß ich gar nicht mehr, wie ich auf diese irrwitzige Idee gekommen bin, durch die ich gerade den ganzen Straßenverkehr aufhalte. Es ist wie ein Geistesblitz, wie eine Erleuchtung. Eigentlich bin ich doch eine richtige Lachnummer. So verzweifelt ich auch bin … was mache ich hier überhaupt? „Die Liebe ist ein Spiel. Wer sich verliebt, hat verloren.“ Dieser Spruch mag wohl in meinem Fall wahr sein, aber ich sollte zumindest versuchen, diese ganzen Gewissensbisse, nervtötenden Fragen und Schuldgefühle aus meinem Kopf zu beseitigen.
Ich stehe auf, dränge mich blind an den umstehenden und laut schimpfenden Leuten vorbei. Nur nicht darauf achten, was um mich herum passiert. Denn im Grunde genommen ist das gerade völlig egal.
Leute maulen mich an, andere gaffen nur. Wieder ein anderer versucht mich am Arm festzuhalten, wahrscheinlich der Mann, der die Polizei angerufen hat. „Tut mir Leid …“, flüstere ich mit von Tränen erstickter Stimme. Alles entgleitet mir. Ich renne schnellstmöglich zur nächsten Telefonzelle. Immer noch kann ich die Hoffnung nicht aufgeben. Nein, so einfach werde ich nicht aufgeben. Ich wähle mit zitternden Fingern seine Telefonnummer …