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maggie
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BeitragThema: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptyMo Nov 26, 2007 9:36 pm

So, hier der erste Teil meiner (Kurz-)Geschichte. Den zweiten Teil poste ich erst, wenn zumindest eine Person weiterlesen möchte.

Noch ein paar Hintergründe:
Die Geschichte spielt in einer unbekannten Zeit an einem unbekannten Ort.

Viel Spaß beim Lesen!

-----------------------------------------------------

Als ich zehn Jahre alt war, brach in unserem Land ein schrecklicher Krieg aus.
Niemand wusste so wirklich, was der Grund dafür war. Es schien sich wohl um einen terroristischen Akt zu handeln. Oder es waren Untergrundrebellen, die das Land für sich erobern wollten und so gegen die Regierung kämpften.
Auch heute weiß niemand, was damals wirklich vorgefallen war und wenn ich ehrlich bin, will ich es auch gar nicht wissen. Jedenfalls ging alles sehr schnell. Zwischen Kriegsausbruch und den ersten Gefangenen vergingen kaum zwölf Stunden.
Viele Menschen wurden von der feindlichen Macht gefangen genommen und von einem Gefängnis ins nächste verschleppt. Meiner Familie erging es dabei leider nicht anders.
Es dauerte auch nicht lange, da wurden mein Vater und meine zwei Brüder von meiner Mutter und mir getrennt.
Für meine Mutter bedeutete das einen Zusammenbruch und für mich bedeutete es, eine Mutter mit gebrochenem Herzen zu haben.
Ein Zug brachte uns dann an einen Ort, den wir noch nie gesehen hatten und dessen Namen wir auch nicht erfuhren.
Nach der tagelangen Fahrt mussten wir – gemeinsam mit über hundert anderen Frauen und Mädchen – mehrere Stunden lang gehen. Die Aufseher schupsten und brüllten und fuchtelten mit ihren Waffen herum. Ich versuchte einfach nicht hinzuhören und betrachtete stattdessen die Gegend.
An einem großen See wurde dann eine zehnminütige Pause gemacht, in der Brot und etwas zu trinken ausgeteilt wurden.
Ich trat an das Ufer des Sees und das Wasser umspülte meine nackten Füße, die nicht nur eiskalt, sondern an manchen Stellen auch aufgerissen waren und bluteten.
Ich ging in die Hocke, blickte über die Wellen hinweg und es war, als wäre ich in einer anderen Welt – zumindest für ein paar Minuten.
Es dauerte noch eine Weile, bis wir unser Ziel erreichten und vor einer Art Festung standen.
Das große Stahltor wurde geöffnet und gab uns den Blick ins Innere der steinernen Mauern frei.
Dort befand sich ein riesengroßer Platz, der sicher an die dreihundert Meter lang war und in dessen Mitte sich eine kleine Tribüne befand. Links davon befanden sich viele kleine Hütten, rechts standen drei große Häuser.
Empfangen wurden wir von einem Dutzend Aufseherinnen, die nun die Verantwortung für uns übernahmen.
Alle hatten dunkelrote Kostüme an, die sehr an Uniformen erinnerten.
Sie scheuchten uns mit lautem Geschrei in die Mitte des großen Platzes, während sich das stählerne Tor hinter unseren Rücken wieder langsam schloss.
Eine der Aufseherinnen – vermutlich die mit dem höchsten Rang – stieg auf die hölzerne Tribüne, stellte sich breitbeinig hin und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.
Sie blickte streng und prüfend in die Menge und schüttelte dann abschätzig den Kopf.

„So, ich stelle jetzt hier die Regeln klar! Und ich werde sie nur einmal erwähnen, also hört gut zu. Denn wer sich nicht daran hält, wird bestraft!
Alle Aufseherinnen werden mit ‚Ma’am’ angesprochen! Es wird nicht gefragt, nicht verlangt und schon gar nicht widersprochen! Gearbeitet wird von sechs bis siebzehn Uhr, wer nicht rechtzeitig erscheint, muss ebenfalls mit einer Strafe rechnen! Versucht eine von euch auszubrechen, müssen alle anderen dafür grade stehen – seid euch dessen bewusst! Wenn jemand krank wird, ist er selbst schuld!“, brüllte sie und gestikulierte dabei heftig.

Nach der Erklärung der Regeln, gab es einige Fragen, vor allem was die Arbeit anging. Aber da die Regeln besagten, dass man nicht fragen dürfe, schwiegen alle.

„Ihr bildet jetzt zwei Reihen – die Kinder die eine, die Erwachsenen die andere!“, lautete der erste Befehl.

Es folgte eine Registrierung der Namen und Geburtsdaten. Hinterher musste jede ihre persönlichen Gegenstände abgeben, auch die Kleidung.
Alle bekamen nun dieselben Hosen und Hemden. Schuhe wurden selten ausgeteilt und wenn, dann nur an Erwachsene. Zusätzlich bekam jeder noch eine Wolldecke, einen Trinkbecher aus Plastik, einen Metallteller und einen Holzlöffel.
Dann wurden wir auf die vielen kleinen Hütten aufgeteilt. Die drei großen Häuser wurden anscheinend von den zwölf Aufseherinnen bewohnt.
Meine Mutter und ich betraten mit vier anderen Frauen und zwei etwa achtjährigen Mädchen die Hütte mit der Nummer 5.
Es gab zwei Stöcke. Im unteren befanden sich eine kleine Küche, sowie ein relativ großer Tisch mit acht Stühlen und sogar ein WC mit Waschbecken.
Eine schmale, hölzerne Treppe führte in den oberen Stock. Dort standen sieben Betten, eines zu wenig, aber die beiden achtjährigen Mädchen konnten schließlich in einem Bett schlafen.
Am nächsten Tag erfuhren wir schließlich auch, was es mit der Arbeit auf sich hatte.
Um halb sechs in der Früh ertönte die Stimme der ranghöchsten Aufseherin über den großen Hof. Anscheinend waren irgendwo große Lautsprecher aufgebaut, denn das Geschrei war so laut, als würde die Aufseherin in unserer Hütte stehen.

„Alle Erwachsenen und alle Kinder ab 14 Jahren versammeln sich um sechs Uhr in der Mitte des Platzes! Wer nicht erscheint, wird bestraft!“, lautete die Ansage.
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptyMo Nov 26, 2007 11:43 pm

Ich möchte bitte gerne weiterlesen, weil ich es super toll finde, dass du dich an so ein Thema rantraust. Ich mag deinen Stil und ich bin echt gespannt wie es weitergeht.
Du schilderst auch alles so "nahe", als würde man genau danebenstehen und alles selbst sehen. Ich hab eine richtige Vorstellung davon. Und diese Brutalität in dem Absatz, wegen der Regeln, dass sie nur einmal gesagt werden... WOW! Schockierend, aber sehr realitätsnahe geschrieben!
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptyDi Nov 27, 2007 12:53 am

Dankeschön! ^^
Und weiter geht's. ^^
Einfach bescheid sagen, wenn ich weiterposten soll.

-----------------------------------------------------

Als meine Mutter an diesem Abend heimkam, war sie so müde, dass sie sofort in ihr Bett fiel.

„Was musst du arbeiten, Mama?“, fragte ich.
„Waffen…ich muss Waffen bauen.“, sagte sie leise, bevor sie einschlief.

Später erfuhr ich, dass sich das Waffenlager außerhalb unserer Festung befand. Anscheinend mussten die Frauen sogar fast eine Stunde gehen, um dorthin zu gelangen.
Wir Kinder unter 14 Jahren durften nicht mit, wir blieben den ganzen Tag in der Festung. Aber wir konnten natürlich nicht tun und lassen, was wir wollten.
Spätestens um acht Uhr mussten wir aus den Betten heraußen sein und uns auf dem großen Platz versammeln.
Dort wurden wir von einer der Aufseherinnen in Mathematik und Schreiben unterrichtet. Ihr Name war Meredith Carpenter, das stand auf einem Schild an ihrer Uniform, aber wir mussten sie natürlich mit Ma’am ansprechen.
Sie war eine strenge Lehrerin, die nicht davor zurückschreckte ein Kind mit ihrem hölzernen Zeigestab zu schlagen, wenn es unerlaubt redete oder etwas nicht gleich verstand und nachfragte.
Für mich waren sowieso alle Aufseherinnen unmenschlich und ich hasste sie alle.

Jede Nacht wünschte ich mir, der Krieg würde enden und jemand würde uns aus der Festung befreien.
Die Jahre vergingen, aber nichts änderte sich an unserer Situation.
Einige Frauen und auch Kinder waren gestorben. Manche hatten die schwere Arbeit nicht ertragen, andere waren krank geworden und hatten das Krankenbett als Leiche verlassen, eingewickelt in ein weißes Laken.
Es kam auch oft vor, dass Frauen und auch Kinder von den Aufseherinnen geholt wurden, weil sie die Regeln nicht befolgt hatten. Einige von ihnen kamen nie wieder zurück und diejenigen, die zurückkamen, hatten schwere psychische und körperliche Schäden davongetragen.
Dreimal bekam unsere Festung Besuch von einem großen Transportwagen. Einige der Gefangenen wurden aufgefordert, sich in diesen zu begeben. Auch sie haben wir nie wieder gesehen.
So waren von den anfangs über hundertfünfzig Frauen und Mädchen nach zwei Jahren nur noch vierundneunzig übrig. Davon waren siebzig Erwachsene und vierzehn Kinder im Alter zwischen acht und fünfzehn Jahren.
Das schlimmste an der ganzen Situation war, dass niemand wusste, wann diese schreckliche Zeit ein Ende finden würde.

Eines Tages – ich war inzwischen zwölf Jahre alt – passierte etwas Sonderbares. Es regnete in Strömen und ich saß mit zehn anderen Mädchen im Unterrichtszimmer, als plötzlich die Stimme der obersten Aufseherin, die übrigens Agatha Vise hieß, in den Lautsprechern ertönte.

„Alle anwesenden Aufseherinnen zum Tor kommen! Sofort!“

Unsere Lehrerin legte den Zeigestab auf ihr Pult und verließ mit militärischen Schritten den Raum.
Neugierig sprangen wir Kinder von unseren Bänken auf und rannten zu den Fenstern. Wir drückten unsere Nasen gegen das kalte Glas, um auch nichts zu verpassen.
Das große Tor wurde geöffnet und ein Kleinlaster fuhr herein.
Zwei Männer stiegen aus, öffneten die Ladefläche und griffen nach etwas.
Eine junge Frau kam zum Vorschein. Sie wurde grob gepackt, vom Lastwagen gezogen und zu Boden geworfen.
Die zwei Männer unterhielten sich kurz mit den Aufseherinnen, stiegen dann wieder ein, drehten auf dem Platz um und verschwanden wieder durch das Tor.
Agatha Vise zog die Unbekannte hoch und schupste sie vor sich über den Platz. Sie kamen immer näher, also setzen wir Kinder uns alle wieder brav an unsere Tische. Ein paar Minuten später betrat Meredith Carpenter wieder den Raum und fuhr mit Mathematik fort.
Obwohl der Unterricht hart war, genossen wir alle den Aufenthalt in dem Klassenzimmer, denn es befand sich im mittleren der drei großen Häuser und war um einiges wärmer, als die Hütten, in denen wir wohnten. Das war besonders in der kühlen Jahreszeit angenehm für uns, da wir weder Schuhe noch warme Kleidung zur Verfügung hatten.
Am Nachmittag desselben Tages hielt ich Ausschau nach dem Neuankömmling, aber ich konnte die junge Frau nirgendwo sehen und fragte mich, was wohl mit ihr passiert war.
Am Abend kam meine Mutter von der Arbeit und ich erzählte ihr sofort, was am Vormittag geschehen war.
Aber sie hörte mir kaum zu, weil sie so müde war.

„Caroline, du überforderst mich gerade etwas mit deinem Geplapper.“, meinte sie und seufzte.
„Aber Mama, ich konnte sie nirgendwo finden, wie ist das möglich?“, fragte ich.
„Hier sind doch schon oft Menschen einfach verschwunden…“, gähnte meine Mutter und stieg die schmale Treppe hoch in den oberen Stock.
„Vielleicht ist sie in der verlassenen Hütte ganz am Ende des Platzes.“, rief ich nach oben.
„Ja…vielleicht. Aber lass mich jetzt schlafen, ja?“
„Willst du denn nichts essen? Es gibt noch Brot und sogar etwas Käse.“
„Ach nein…“, sagte sie und winkte mit der Hand ab.

Ich stand unten und blickte meiner Mutter hinterher, wie sie mit müden und schweren Schritten eine Stufe nach der anderen emporstieg.
Was war nur aus ihr geworden? Sie war früher so fröhlich gewesen, aber dieses Lager und noch viel mehr der Krieg hatten alles verändert.
Selten konnte ich abends nach der Arbeit mit ihr reden, weil sie immer so müde war und schlafen gehen wollte.
Sie sprach auch nie von meinem Vater oder meinen Brüdern und oft fragte ich mich, ob sie die drei vergessen hatte.
Jonathan musste inzwischen sechzehn sein und Andrew vierzehn, das hieß, wenn sie überhaupt noch am Leben waren.

Ich ließ meine Mutter schlafen und machte mich auf den Weg zur letzten Hütte am Ende des Platzes. Je näher ich kam, desto unwohler fühlte ich mich. Da ich mich nicht traute, an die Tür zu klopfen, lugte ich erstmals durch eines der Fenster. Mein Herz klopfte vor Aufregung, als ich einen Blick in das Innere warf.
Es war niemand zu sehen und es war auch nichts zu hören. Ob sie schlief? Langsam schlich ich zur Tür hinüber, legte mein Ohr an das Holz und überprüfte noch einmal, ob etwas zu hören war. Nichts.
Ich legte meine Hand auf die Türklinke und drückte sie langsam hinunter.
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptyMi Nov 28, 2007 12:46 pm

Echt super tolle Kurzgeschichte! Bitte weiterposten Very Happy
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptyMi Nov 28, 2007 4:24 pm

Weiter geht's.
Achtung: hier wird's bissl grausig, für Leute mit extrem schwachen Nerven. ^^

----------------------------------------------------

„Was machst du hier? Du hast hier nichts verloren! Verschwinde!“

Erschrocken wirbelte ich herum. Agatha Vise stand hinter mir und schaute mich mit bösen Augen an. Ich hatte sie gar nicht kommen hören, ich war wohl zu vertieft in meine Gedanken gewesen.
So schnell ich konnte, rannte ich davon und versteckte mich hinter der nächsten Hütte. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, ich konnte das Pulsieren in meinem ganzen Körper spüren.
Als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, ging ich in die Hocke und kroch vorsichtig zur Ecke vor, um zu sehen, was die Aufseherin bei der Hütte wollte.
Sie war inzwischen hinein gegangen und man hörte ihr lautes Geschrei. Es dauerte auch nicht lange, da flog die Tür auf und die junge Frau stolperte heraus. Sie schaffte es gerade noch, einen Sturz zu verhindern.
Agatha Vise kam hinter ihr her und schupste sie vor sich über den Platz zum mittleren der drei großen Häuser. Dort verschwanden sie in der Tür und ich sah, wie das Licht im Unterrichtsraum anging. Allzu gern wäre ich hinüber geschlichen, um durch eines der Fenster zu spähen und ein bisschen zu lauschen, aber das wäre zu gefährlich gewesen.

„Was machst du da?“, hörte ich eine Kinderstimme hinter mir und drehte mich überrascht um.

Die kleine Annie, die in der Hütte wohnte, hinter der ich mich versteckte, hatte mich entdeckt und stand mit fragendem Blick vor mir.

„Ich mache gar nichts, Annie.“, sagte ich und stand auf, „Solltest du nicht längst im Bett sein? Es wird schon dunkel.“
„Meiner Mama geht’s nicht so gut. Sie liegt oben und macht so komische Geräusche. Ich trau mich nicht hinauf.“
„Sie macht komische Geräusche?“

Annie nickte.

„Ist sie krank?“
„Nein, sie war heute sogar arbeiten.“

Misstrauisch nahm ich das achtjährige Mädchen an der Hand und ging mit ihr in die Hütte hinein. Sie lebte seit etwa einem Jahr alleine mit ihrer Mutter, weil die anderen vier Frauen, die früher auch hier gewohnt hatten, von einem der drei Transporter mitgenommen worden waren. Und Annies ältere Schwester, Molly, hatte vor zwei Monaten einen tödlichen Unfall in der Waffenfabrik.

„Misses Quire?“, rief ich nach oben, „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“

Langsam ging ich die Treppe nach oben, sagte Annie aber, dass sie lieber unten warten solle, weil ich nicht wusste, was mich erwarten würde.
Meine Schritte waren zögernd, vor allem bei den letzten drei Stufen.
Ich lauschte, bevor ich weiterging. Ich hörte nicht viel, nur das Knarren von Holz und den Regen, der gerade wieder angefangen hatte und auf das Dach prasselte.
In mir machte sich ein ungutes Gefühl breit.
Ich schloss für einen Moment die Augen und betrat das Schlafzimmer. Erst drehte ich mich nach links, wo ich niemanden entdecken konnte. Also drehte ich mich um hundertachtzig Grad. Was ich dort in der rechten Zimmerecke sah, ließ mich erstarren. Meine Beine wurden weich und mir wurde schwarz vor Augen, sodass ich mich an einem der Bettpfosten festhalten musste. Ich sank langsam zu Boden und schüttelte den Kopf, um meine Benommenheit loszuwerden. Als ich wieder klarer sehen konnte, wagte ich einen zweiten Blick.
Misses Quires Beine baumelten in einer Höhe von dreißig Zentimetern über dem Zimmerboden. Um ihren Hals schlang sich eines der Bettlaken, das mit dem anderen Ende am Querbalken festgebunden war. Etwa einen Meter neben ihren freihängenden Füßen lag ein umgestoßener Hocker.
Mir wurde schlecht, ich konnte nicht glauben, was ich da sah.

„Kann ich hochkommen, Caroline?“, hörte ich Annies helles Stimmchen von unten.
„Nein…nein, du kannst nicht hochkommen.“, rief ich so laut ich konnte.
„Warum denn nicht?“, die Achtjährige wurde ungeduldig.
„Warte…“

Ich rappelte mich auf, wandte mich von Misses Quire ab und ging die Treppe nach unten.

„Warum kann ich nicht hoch, Caroline?“, wollte Annie wieder wissen.
„Komm mit, ich bring dich zu meiner Mutter.“, sagte ich und schleppte sie hinter mir her.
„Was ist denn mit meiner Mama? Ist sie krank?“, fragte das Mädchen und blickte mich erwartungsvoll an.
„Nein…nein, Annie.“
„Aber was ist denn dann mit ihr?“

Ich schwieg einfach, denn ich wusste nicht, was ich ihr sagen sollte oder wie ich es ihr sagen sollte.
Als wir bei unserer Hütte ankamen, weckte ich meine Mutter auf und erzählte ihr, was geschehen war. Annie saß währenddessen in der Küche und aß etwas Brot.
Da wir nicht einfach zu den Aufseherinnen gehen konnten, um ihnen zu berichten, was los war, mussten wir bis zum nächsten Tag warten und darauf, dass die Abwesenheit von Misses Quire von selbst auffiel.
Annie schlief in dieser Nacht in meinem Bett, während ich bei meiner Mutter schlief.
Die Achtjährige schlummerte tief und fest, ahnungslos wie sie war.
Ich hingegen konnte kein Auge zumachen, denn ich sah ständig den leicht geöffneten Mund von Misses Quire und die geplatzten Äderchen in ihren weit aufgerissenen Augen vor mir.
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptySo Dez 02, 2007 8:52 pm

Stimmt! Für schwache Nerven ist das wirklich nichts. Aber sehr toll geschrieben!
Bitte weiter ...
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptySo Dez 02, 2007 10:17 pm

Und weiter geht's...

-----------------------------------------------------

Am nächsten Morgen, als die Frauen auf ihre Anwesenheit überprüft wurden, bevor man sie zum Waffenlager brachte, wurde das Fehlen von Abigail Quire schnell erkannt.
Agatha Vise stürmte daraufhin mit zwei weiteren Aufseherinnen die Hütte der Fehlenden. Es dauerte nicht lange, da kamen sie auch schon wieder heraus und riefen zwei weitere Aufseherinnen zu sich. Darunter auch die Lehrerin.
Die anderen Frauen, die noch mitten auf dem Platz standen und einander fragend anschauten, wurden dazu aufgefordert, mit den anderen Aufseherinnen zur Waffenfabrik zu gehen.
Agatha Vise befahl ihren vier hier gebliebenen Kolleginnen in die Hütte zu gehen und die Leiche wegzubringen. In ein weißes Laken gewickelt – vermutlich das, womit sie sich erhängt hatte – wurde Abigail Quire aus ihrer Hütte getragen und mit dem kleinen, lagereigenen Wagen weggebracht.
Kurz bevor die Schule losging, erzählte ich Annie, was mit ihrer Mutter passiert war. Ich hatte nämlich Angst, die Kleine würde es sonst auf unsensible Weise von der Lehrerin erfahren.
Die Achtjährige weinte während des gesamten Unterrichts, denn der wurde ihr trotz des Todes ihrer Mutter nicht erspart.

„Hör endlich auf zu heulen!“, schrie Meredith Carpenter schon zum zehnten Mal an diesem Vormittag.

Aber Annie konnte nicht anders, was man ihr auch nicht übel nehmen konnte. Und das schien anscheinend sogar die Lehrerin zu begreifen, denn obwohl Annie weiter weinte, bekam sie keine Strafe aufgrund von Ungehorsamkeit.

Eine Woche verging und ich hatte inzwischen etwas Abstand zu dem schrecklichen Erlebnis, das ich gehabt hatte, bekommen. Auch wenn es dennoch immer wieder in meinem Kopf aufflackerte und mich dann vor allem nachts nicht schlafen ließ.
In der Woche war sonst weiter nichts Besonderes vorgefallen, außer, dass Annie nun bei uns wohnte und um die letzte Hütte am Ende des Platzes ein hoher Zaun mit Stacheldraht errichtet worden war. Diese Fremde musste wohl gefährlich sein. Aber für wen? Für uns Gefangene oder für die Aufseherinnen oder für beide Parteien?
Ich war jedenfalls neugierig und schlich, wenn es dunkel war, immer wieder um die geheimnisvolle Hütte herum. Ich hoffe, etwas zu sehen oder zu hören. Aber immer herrschte dort vollkommene Stille, was ich sehr seltsam fand.
Ich hatte auch schon oft versucht irgendwo eine Lücke im Zaun zu finden, aber da war keine.
Die Tage vergingen und es gab kein Lebenszeichnen von der jungen Frau aus der gesicherten Hütte. Langsam zweifelte ich daran, dass sie überhaupt noch hier war.
Doch dann geschah etwas Merkwürdiges.
Eines Morgens, es war sieben Uhr, wachte ich auf, zog mich an und ging in die Küche hinunter, um dort das restliche Brot vom Vortag zu essen. Zehn Minuten später kam auch Annie die Stiegen herunter gestapft und setzte sich zu mir.
Meine Mutter und die zwei anderen Frauen, die noch mit uns wohnten, waren längst beim Arbeiten.

„Warst du gestern Nacht wieder bei der verbotenen Hütte?“, fragte die Achtjährige, die am Küchenfenster stand und hinausschaute.
„Ja, war ich. Wieso?“
„Hast du die Fremde gesehen?“
„Nein, es war mal wieder gar nichts los dort drüben.“
„Dann komm ans Fenster, dort draußen steht sie nämlich.“
„Was?“
Ich sprang so schnell vom Küchentisch auf, dass ich mit beiden Knien ans Tischbein schlug, hängen blieb und erstmals zu Boden fiel.
Fluchend und jammernd zugleich, erhob ich mich wieder und humpelte zum Fenster. Und tatsächlich.
In der Mitte des Platzes stand die Fremde. Ihre Arme waren hinter ihrem Rücken um einen hohen, runden Holzpfahl gebunden. Die Fesseln waren so festgemacht, dass es ihr unmöglich war, sich auf den Boden zu setzen.
Gegen acht Uhr gingen Annie und ich dann quer über den Platz zum Unterrichtsraum. Dabei kamen wir auch am Pfahl vorbei und während das achtjährige Mädchen schnell vorbeihuschte, ging ich so langsam, dass mich wohl eine Schnecke noch überholen hätte können.
Ich schaute der Fremden genau ins Gesicht. Ihre Augen waren fast schon schwarz, ihre Haare dunkelbraun, gewellt und lang. Ihre Haut war als Kontrast sehr hell, fast schon weiß. Wären da nicht ihre roten Lippen gewesen, hätte ich sie glatt für tot gehalten. Denn sie bewegte sich nicht. Nur bei genauem Hinsehen sah man, dass sie atmete und mit den Augen blinzelte. Es schien fast so, als würde sie mit offenen Augen schlafen oder vor sich hinträumen.
Deshalb erschrak ich auch fürchterlich, als sie meinen Blick plötzlich erwiderte und mit mir zu sprechen begann.

„Kommst du heute Nacht wieder zu meiner Hütte? Dir gefällt es wohl im Dunkeln durch die Gegend zu schleichen, was?“, flüsterte sie mir zu.

Ich war so überrascht vor dieser unangekündigten Kontaktaufnahme, dass ich mich einfach umdrehte und zum Unterricht rannte.

„Zum Schluss muss ich euch noch sagen, dass das Mädchen draußen auf dem Platz gefährlich ist. Es ist verboten, mit ihr zu sprechen oder ihr näher als zehn Schritte zu kommen. Ach…und ihr habt auch bei ihrer Hütte nichts verloren. Wer diese Regeln missachtet, wird hart bestraft, ist das klar?“
„Ja, Ma’am!“, lautete die einheitliche Antwort, bevor Miss Carpenter den Unterricht beendete und alle gehen durften.

Den restlichen Tag überlegte ich, ob ich am Abend tatsächlich wieder zu der verbotenen Hütte gehen sollte. Ich entschied mich dagegen, da ich sowohl Angst vor der Fremden, als auch von einer harten Strafe hatte, sollte ich erwischt werden.
Aber als es langsam dunkel wurde, wuchs meine Neugier und so machte ich mich schließlich doch noch auf den Weg.
Ich schlich bis zum Ende des Platzes, wie ich es auch schon in den Tagen zuvor getan hatte. Nur in dieser Nacht war der Himmel sternenklar und der Vollmond leuchtete hell. Ich hatte schon Angst, entdeckt zu werden, weil ich durch das starke Licht einen langen Schatten warf.
Als ich schließlich vor der letzten Hütte stand, dauerte es nicht lange, bis ich ein Flüstern von der anderen Seite des Zaunes hörte.
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptyDi Dez 11, 2007 11:56 am

Gehts noch weiter?

Also ich find die Story echt heavy, aber sowas von gut geschrieben und sowas von authentisch. Hast du jemanden zu dem Thema interviewt? Echt super genial geschrieben !
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptyDi Dez 11, 2007 6:52 pm

Es geht noch lange weiter (bisher habe ich 8 Wordseiten von 26 gepostet ^^). Ich sag schon bescheid, wenn fertig ist bzw. wenn ich an die Stelle komme, an der ich noch nicht weitergeschrieben habe.

Interviewt habe ich niemanden dazu.
Weißt du, alles, was in der Geschichte passiert, sah ich in meinem Kopf. Klingt komisch, ich weiß.
Aber wenn ich abends in meinem Bett Musik höre und nachdenke, kommen mir manchmal solche Ideen in den Kopf und die lassen mich dann nicht mehr in Ruhe.
Eine Stelle, die erst noch geschrieben werden muss, habe ich sehr intensiv "erlebt"...ich weiß nicht, ich muss wohl eine sehr lebhafte Fantasie haben.

Du schreibst:
"Hast du jemanden zu dem Thema interviewt?"
Zu welchem Thema? ^^

Und weiter geht's:

---------------------------------------------------

„Ich hab mir schon gedacht, dass du wieder kommst. Warum bist du heute in der Früh vor mir weggelaufen?“
„Ich war erschrocken.“
„Ja, das habe ich gemerkt.“
„Wer bist du?“, fragte ich.
„Willst du nicht herein kommen?“
„Nein, lieber nicht.“
„Warum nicht? Dann kann ich dich wenigstens sehen und wir können vernünftig reden.“
„Du bist gefährlich!“, entgegnete ich ihr.

Auf der anderen Seite des Zaunes ertönte leises Lachen.

„Wer hat dir das gesagt? Etwa Meredith Carpenter? Heute in der Schule?“, fragte die Fremde dann.
„Ja, woher weißt du das?“
„Spielt das eine Rolle? Viel wichtiger ist doch, dass ich nicht gefährlich bin.“
„Und das soll ich dir glauben.“
„Denkst du, ich werde wie ein wildes Tier über dich herfallen, wenn du hier rein kommst?“
„Woher soll ich das wissen?“, sagte ich und runzelte meine Stirn, „Würdest du denn?“
„Natürlich nicht. Und jetzt komm endlich.“
„Und wie soll das gehen?“, fragte ich genervt.

Im nächsten Moment löste sich ein paar Meter neben mir eines der dicken Bretter, aus denen der Zaun gebaut worden war. Es ging wie eine Klappe auf und ich sah eine Hand, die mir zuwinkte.
Ich zögerte einen Augenblick, doch dann huschte ich schnell durch die Öffnung. Die Fremde machte das Brett wieder am Zaun fest und zog mich dann hinter die Hütte, wo wir uns auf ein paar alte Bretter setzten.

„Na siehst du? Ist doch gar nichts passiert…“
„Wer bist du?“, wollte ich wissen.
„Willst du wissen, woher ich komme, was ich in meinem Leben gemacht habe oder einfach nur meinen Namen?“
„Der Name würde für den Anfang reichen, glaub ich.“
„Na schön. Ich heiße Zeit.“
„Du nimmst mich auf den Arm.“
„Keinesfalls. Und wie heißt du?“
„Caroline Windoor.“, antwortete ich.
„Wie alt bist du, Caroline?“
„Ich bin zwölf, nächsten Frühling werde ich dreizehn. Und du?“
„Ist es wichtig, wie alt ich bin?“
„Ja, für mich schon. Ich habe dir schließlich auch geantwortet.“
„Stimmt, da hast du Recht. Ich bin dreihundertvierunddreißig Vollmonde alt. Umgerechnet sind das neunzehn Jahre und etwa sechs Monate.“
„Wieso rechnest du dein Alter in Vollmonden? Das ist doch krank.“
„Es ist nur krank, weil du es so nicht kennst, weißt du? Für mich ist es ganz normal.“
„Trotzdem…niemand heißt ‚Zeit’ und rechnet sein Alter in Vollmonden.“
„Du hast Recht, hier tut das niemand. Aber dort, wo ich herkomme, schon. Ich heiße übrigens Mahra, aber in meiner Muttersprache bedeutet dieses Wort ‚Zeit’.“
„Ach so. Und woher kommst du?“
„Aus Kifara“
„Hab noch nie davon gehört.“
„Ja, es ist ein unbekanntes Land. Dafür ist es dort sehr schön.“
„Wirklich? Wie sieht es dort aus?“
„Es gibt sehr viel Natur. Es gibt dichte Wälder und weite Grassteppen, auf denen die verschiedensten Tiere umherlaufen. Das ganze Jahr scheint die Sonne, nur im Herbst regnet es einen Monat lang durch. Und nach dem Regen haben sich all die großen Grassteppen in riesige Blumenfelder verwandelt und überall sieht man Tierbabys herumtollen.“
„Dann ist dort alles ganz genau umgekehrt, wie hier.“
„Wie kommst du denn darauf?“
„Na, ganz einfach. Hier regnet es fast ständig und nur im Sommer scheint die Sonne so richtig. Und hier gibt es auch keine Natur. Keine Bäume und kein Gras. Noch nicht einmal Erde gibt es hier, nur diesen elenden Kiesboden. Und Tiere gibt’s hier auch keine.“
„Da irrst du dich aber mächtig, Caroline.“, meinte Mahra und blickte mich mit ihren schwarzen Augen an.
„Wieso denn? Schau dich doch um!“
„Du denkst, hier gäbe es keinerlei Natur, weil du sie einfach nicht siehst.“
„Wie meinst du das?“
„Die Natur ist überall. Wir sehen sie, wir hören sie, wir atmen sie und wir fühlen sie.“
„Du verwirrst mich.“
„Es ist ganz einfach. Du siehst hier vielleicht keinen Baum, aber du siehst doch diesen Zaun, oder? Er ist aus Holz. Der Zaun ist also ein Baum, zumindest war er das früher einmal. Und irgendwo unter den Kieselsteinen befindet sich auch Erde, du musst nur tief genug graben. Und wenn du tagsüber in den Himmel über dir schaust, siehst du unzählige Vögel und Insekten herumfliegen.“
„Ich glaub, ich verstehe dich.“
„Du darfst nicht sehen, was fehlt. Sondern du musst entdecken, was vorhanden ist. Auch wenn es bedeutet, dass du suchen und nachdenken musst.“

Ich nickte und wir schwiegen einen Moment lang.

„Warum musstest du heute den ganzen Tag auf dem Platz stehen, Mahra?“
„Du bist aber neugierig. Solltest du nicht langsam wieder zurück zu deiner Hütte?“
„Eigentlich schon.“, gab ich zu.
„Na, dann solltest du gehen. Du kannst morgen wieder kommen, wenn du willst.“
„Na schön.“

Ich willigte ein, obwohl ich gerne noch länger geblieben wäre. Aber ich merkte, dass sie mich für heute loswerden wollte, also ging ich.
Mahra begleitete mich bis zum geheimen Ein- und Ausgang im Zaun. Als ich durch die Öffnung schlüpfte, überkam mich plötzlich eine Angst und ich drehte mich noch einmal zu der jungen Frau um.

„Mahra, du wirst mich doch nicht verraten, oder?“
„Hab ich dich wie ein wildes Tier angefallen, als du hier rein kamst?“, meinte sie, ohne dabei auf meine Frage zu antworten.
„Nein, hast du nicht.“
„Na also.“
„Aber, was heißt das nun?“, flüsterte ich unsicher.
„Das heißt, du musst dir keine Sorgen machen. Und jetzt geh.“, antwortete sie und zwinkerte mir zu, bevor sie die Luke im Zaun wieder schloss.

Als ich im Bett lag, dachte ich noch lange über die Worte von Mahra nach. Obwohl sie irgendwie verwirrend waren, ergaben sie Sinn. Und es waren schöne Worte, denn sie gaben mir Hoffnung.
Ich konnte es kaum erwarten, am nächsten Abend wieder zu der verbotenen Hütte zu gehen. Leider schien der folgende Tag nicht vergehen zu wollen. Die Stunden in der Schule vergingen unglaublich langsam, genau wie der Nachmittag, doch am schlimmsten war schließlich die Dämmerung. Irgendwie wurde es langsamer dunkel als an den anderen Tagen, zumindest kam es mir so vor.
Aber dann war es soweit. In den Hütten war Ruhe eingekehrt und auch in den Häusern der Aufseherinnen waren die letzten brennenden Lichter ausgegangen.
Der Weg bis zum Ende des großen Platzes kam mir plötzlich unglaublich lang vor und ich war froh, als ich endlich bei dem hölzernen Zaun ankam.
Keine Minute später wurde schon die Geheimluke geöffnet und ich schlüpfte hindurch.
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptyMi Dez 12, 2007 8:39 pm

Ich bin schon sehr gespannt, wie es mit Caroline und Mahra weitergeht Smile
Kennst du die Denkweise der Aborigines? Die sagen nämlich auch das, was du beschrieben hast: „Du darfst nicht sehen, was fehlt. Sondern du musst entdecken, was vorhanden ist."

Mit "diesem" Thema meine ich, dieses Gefangenenlager, weil als KZ trau ich es mich gar nicht mal zu bezeichnen. Eben dieses Lager, wo die Kleine und die ganzen anderen Frauen und Kinder sind. Das ist total authentisch ge-und beschrieben. Und deswegen dachte ich, du hast vielleicht jemanden mal dazu interviewt. Klar ich weiß auch viel über diese Lage, weil man das ja in der Schule lernt, aber weil das wirklich so extrem authentisch beschrieben ist. Deswegen dachte ich ...

Soviele Seiten hast du schon geschrieben? WOW! Respekt. Ich will sofort weiterlesen *hehe*
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptyMi Dez 12, 2007 9:17 pm

Die Denkweise der Aborigines kannte ich bis vor wenigen Sekunden noch nicht. ^^
Aber irgendwie interessant, dass Menschen aus zwei komplett verschiedenen Kulturen auf dieselben Dinge kommen...regt zum Nachdenken an, merke ich gerade.

Zum "Thema":
In der Geschichte selbst handelt es sich um kein KZ oder sonstiges aus der NS-Zeit.
Denn die Geschichte handelt in einer unbekannten Zeit und an einem unbekannten Ort.
Zum Thema KZs (oder so) habe ich niemanden interviewt.
Hätte nicht gedacht, dass meine Beschreibungen - die von Bildern aus meinem Kopf habe - so authentisch sind. Shocked

Und nun geht's auch gleich weiter:

-----------------------------------------------------

„Hallo! Komm, heute gehen wir lieber hinein.“, lautete die Begrüßung von Mahra.

Schnell huschten wir ins Innere der Hütte und setzten uns dort im oberen Stock in eines der vier Betten. Hier mussten wir auch nicht flüstern, was ebenfalls sehr angenehm war.

„Du möchtest also wissen, warum ich gestern auf dem Platz stehen musste.“, sagte Mahra und zum aller ersten Mal hörte ich ihre Stimme.

Sie war komplett anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Sie war recht tief und etwas rau, ja fast schon heiser, aber dennoch sehr weiblich.
Mahra zündete ein paar Kerzen an und hängte eine ihrer beiden Wolldecken vors Fenster, damit niemand das Licht sehen konnte.

„Ich kenne den Grund nicht, aus dem ich den ganzen Tag dort draußen stehen musste.“, erklärte sie schließlich und antwortete somit auf meine Frage vom Vortag.
„Du hast keine Ahnung?“, ich konnte es nicht glauben, „Du musst doch gegen irgendeine Regel verstoßen haben.“
„Nicht, dass ich wüsste.“

Ich konzentrierte mich die ganze Zeit auf ihre Stimme. Denn sie hatte gleichzeitig auch noch so einen warmen Klang und war wirklich sehr angenehm anzuhören. Sie zog einen damit wirklich in ihren Bann.

„Sag mal. Was lernt ihr eigentlich so in der Schule?“, fragte sie schließlich.
„Och, nur Mathematik und Schreiben.“, antwortete ich und wartete darauf, dass Mahra wieder etwas sagte.
„Wünscht euch Meredith Carpenter einen ‚Guten Morgen’, wenn sie morgens ins Klassenzimmer kommt?“
„Die doch nicht!“, ich blickte Mahra fassungslos an.
„Musst du ‚Guten Morgen’ sagen, wenn sie den Raum betritt?“
„Ja, sonst kriege ich Prügel – wir alle.“
„Findest du nicht, dass das ein wenig unfair ist?“
„Doch natürlich!“
„Es ist also unfair, dass zwei Menschen, die eigentlich komplett gleich sind, unterschiedliche Rechte haben.“
„Genau!“
„Ja, es ist wirklich unfair, dass ihr Kinder einen ‚Guten Morgen’ wünschen dürft.“
„Ähm…nein, ich glaub, du verwechselst da etwas.“, warf ich ein.
„Nein, tu ich nicht. Wusstest du, dass Aufseher und Aufseherinnen keine menschlichen Beziehungen aufbauen dürfen? Egal, in welchem Lager oder Gefängnis sie arbeiten. Sobald sie nämlich zu einem der Gefangenen eine persönliche Bindung aufbauen, ist es ihnen nicht mehr möglich so hart und kaltherzig zu sein. Nicht einmal unter ihren Kollegen dürfen sie zu viele Gefühle zeigen oder sich selbst offenbaren. Denkst du, Agatha Vise wünscht einer ihrer Kolleginnen eine ‚Gute Nacht’, wenn sie nach dem Abendessen vom Tisch aufsteht, um auf ihr Zimmer zu gehen?“
„Ich weiß nicht. Eher nicht.“
„Nein, das tut sie nicht.“
„Woher weißt du das?“
„Ich habe Augen im Kopf.“
„Das hab ich auch, aber wie soll mir das in dieser Sache weiterhelfen?“
„Das erfährst du ein anderes Mal.“
„Na schön. Aber mir gefällt es trotzdem nicht, dass du die dummen Hexen als Opfer darstellst. Du bist noch nicht so lange hier wie ich und du weißt nicht, was sie schon getan haben und wozu sie fähig sind.“
„Denkst du, das hier ist das erste Lager, in das ich gekommen bin? Denkst du, dieses Lager hier wäre das schlimmste, was es auf der Welt gibt?“

Ich schwieg, darauf wusste ich keine Antwort.

„Das hier ist das dritte Gefängnis, in das ich gesteckt wurde. Ich war davor in einem anderen Lager und davor war ich monatelang in einem dunklen Verlies eingesperrt. Da hatten die Menschen keine frische Luft, keine eigenen Hütten, keine Betten und schon gar keine tägliche Verpflegung mit Essen und Trinken. Sie saßen angekettet in der Kälte, eingepfercht zwischen meterdicken Steinmauern. Täglich wurden sie von den Aufsehern geschlagen.“
„Du auch?“
„Ja.“
„Wie bist du da heraus gekommen?“
„Irgendwann wurde das Gefängnis aufgelöst, das heißt, die Gefangenen wurden in andere Gefängnisse oder Lager verfrachtet.
Ich hatte das Glück in ein Lager und nicht wieder in so ein dunkles Verlies zu kommen. Das Lager war ähnlich wie das hier, aber dort waren sowohl Frauen, als auch Männer und natürlich Mädchen und Jungen.“
„Warum hat man dich von dort weggeholt und hier her gebracht?“, wollte ich nun wissen.
„Weil ich geredet habe. Ich habe mit den Menschen geredet. So wie ich das gerade mit dir tue.“
„Und was ist daran so schlimm?“
„Meinetwegen kamen die Menschen ins Grübeln und bekamen eine ungeheure Wut. Aber nicht nur das. Sie bekamen auch eine scheinbar unerschöpfliche Kraft und so kam es zu einem Aufstand. Es war nicht das, was ich mit meinen Worten bezwecken wollte, aber ich konnte sie nicht aufhalten. Der Aufstand schlug fehl, weil sich die Gefangen überschätzten, und irgendwie kam dann heraus, dass ich hinter der Meuterei steckte.“
„Aber du hast die Menschen doch nicht direkt dazu angestiftet oder?“
„Nein, natürlich nicht. Aber wer hätte mir das schon geglaubt?“
„Entschuldige, dass ich das fragen muss, aber wieso hat man dich dafür nicht hingerichtet? Es ist doch ein Wunder, dass du lebend aus dieser Sache herausgekommen bist.“, stellte ich staunend fest.

Mahra blickte mich auf einmal sehr ernst an, wandte sich ab und stand auf, um die Kerzen wieder zu löschen. Und das tat sie, ohne dabei ein weiteres Wort zu verlieren.

„Tut mir Leid, habe ich etwas Falsches gesagt?“, sagte ich schnell, denn ihre Reaktion verunsicherte mich stark.
„Nein, hast du nicht. Aber für heute ist es mal wieder genug.“, antwortete die junge Frau, während sie die zu einem Vorhang umfunktionierte Decke vom Fenster nahm.
„Na schön. Kann ich morgen wieder kommen?“
„Nein, morgen nicht. Morgen Abend werde ich mal wieder drüben in eurem Klassenzimmer von Agatha Vise, Meredith Carpenter und zwei anderen Aufseherinnen verhört.“
„Wieso das?“
„Weil sie glauben, dass ich Informationen habe, die für sie sehr wichtig sein könnten.“
„Und stimmt das?“
„Nein. Und wenn es stimmen würde, würden sie keinen Ton von mir zu hören bekommen.“
„Was sagst du ihnen, wenn sie dir Fragen stellen?“
„Ich erzähle ihnen komplett andere Dinge.“
„Zum Beispiel?“, fragte ich, als wir die Treppe hinunter gingen.
„Zum Beispiel das, was ich dir heute über Menschen und ihre unterschiedlichen Rechte erzählt habe. Nur habe ich etwas andere Beispiele verwendet. Da fällt mir ein, dass das vielleicht der Grund dafür gewesen sein könnte, warum ich gestern den ganzen Tag an dem Pfahl stehen musste.“
„Ja, das wäre ein guter Grund.“

Wir traten ins Freie hinaus, schlichen zur Geheimluke hinüber und ich huschte nach draußen auf den Platz.

„Weißt du, das Komische an der Sache ist nur, dass ich bestraft wurde, obwohl ich keine ihrer Regeln missachtet oder gebrochen habe. Ich habe nicht gefragt, nicht verlangt und nicht widersprochen. Ich habe nur festgestellt.“, flüsterte Mahra und befestigte das lose Brett wieder am Zaun, ehe ich ihr antworten oder eine ‚Gute Nacht’ wünschen konnte.

Als ich in dieser Nacht in meinem Bett lag, dachte ich lange darüber nach, was Mahra über die Rechte und die Menschen gesagt hatte.

„’Du sollst nicht sehen, was fehlt. Sondern entdecken, was vorhanden ist’“, zitierte ich sie flüsternd.

Wenn ich diesen Satz mit dem unfreiwilligen „Guten Morgen – Gruß“ in der Schule verknüpfte, so bedeutete dies für mich, dass ich es genießen müsste, Meredith Carpenter einen ‚Guten Morgen’ wünschen zu dürfen. Ich hatte damit nämlich ein Recht, das sie nicht hatte. Und eigentlich war sie dadurch diejenige, der etwas fehlte, und nicht ich oder die anderen Kinder.
Aber ich sah es dennoch nicht ein, sie deshalb in eine Opferrolle schlüpfen zu lassen. Denn ihr Verhalten war alles andere als in Ordnung. Ihr Verhalten war äußerst unmenschlich und konnte sowohl physische als auch psychische Schmerzen bedeuten.
Auf der anderen Seite war sie arm, wenn das, was Mahra über Aufseher beziehungsweise Aufseherinnen und persönliche Bindungen sagte, wirklich stimmte.
Ob ein Mensch irgendwann wirklich keine Gefühle mehr für andere haben konnte, wenn er eine Zeit lang nichts an sich heran und aus sich heraus ließ?
Mit diesem Gedanken schlief ich ein.
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptyMi Dez 12, 2007 10:02 pm

Mich hat es auch erstaunt, wegen dieser Denkweise. Weil die Aborigines denken genau das Gleiche. Aber in einer LV haben wir das auch festgestellt, dass die verschiedenen Naturvölker oder besser gesagt Eingeborene aus den unterschiedlichen Kontinenten oft das gleiche denken und tun. Auf unterschiedliche Weise, meist, aber oft auch auf die selbst Art und Weise. Ich find das so total faszinierend Smile

Mhm, in der Geschichte geht es nicht um die Nazizeit und KZ's, deswegen habe ich es auch als das "Thema" genannt, weil ich einfach nicht wusste, wie ich es nennen sollte. Aber Gefangenenlager ist doch ganz passend,oder?
Aber ja wirklich, du schreibst das so authentisch, das ist echt wahnsinn. Ich hab da auch Bilder vor mir. Zum Beispiel sehe ich Carolina total genau zu Mahra schleichen. Das sehe ich die ganze Zeit vor meinem Auge. Auch, wenn sie sich unterhalten. Oder diese Lehrerin. Die kann ich mir auch ziemlich gut vorstellen, wie ihre Art ist und weniger vom Aussehen.

Zu deiner Fortsetzung: Ich finds total toll, dass du auf Mahra eingehst. Dass wir Leser nach und nach mehr von ihr erfahren und vor allem auch, dass sie sich für die Rechte der Menschen einsetzt. Und ich könnte mir auch vorstellen, dass in den weiteren Fortsetzungen auch Caroline damit anfangen könnte...Ich freu mich auf die Fortsetzung Smile Denn ich mag deinen Schreibstil und die Geschichte auch ansich. Total viel Aussagekraft, super "Thema", sehr tolle Beschreibungen, etc. Ich werde noch dein größter Fan, du wirst schon sehen Wink
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptyMi Dez 12, 2007 10:20 pm

Danke I love you
Es freut mich, dass dir die Geschichte gefällt, denn es ist ein schwieriges Thema.

Hier geht's auch schon weiter:

----------------------------------------------------

„Ich find’s gut, dass du über das nachdenkst, was ich sage.“, meinte Mahra, als ich sie zwei Tage später wieder besuchte und ihr dieselbe Frage stellte, die ich mir selbst vor zwei Nächten gestellt hatte.
„Nun, bei deinen komischen Gesprächsthemen ist das auch kaum zu vermeiden.“, antwortete ich.
„Du findest diese Gesprächsthemen komisch? Na schön, dann reden wir einfach über andere Dinge. Wir könnten zum Beispiel über das heutige Wetter sprechen oder darüber, wie fad die Suppe, die heute Mittag ausgeteilt wurde, doch schmeckte.“, meinte Mahra während sie die Treppen in den oberen Stock emporstieg.
„Aber das ist doch langweilig!“, protestierte ich und folgte ihr kopfschüttelnd.
„Ach, findest du?“, sie schmunzelte, „Gut, worüber möchtest du dann reden?“
„Ich weiß nicht.“, gab ich zu und ließ mich auf eines der Betten fallen, während Mahra mit einer der beiden Wolldecken wieder das Fenster verhängte.
„Also ich hätte da schon ein paar Dinge, die ich erzählen könnte.“, sagte sie und lächelte mich schief an.

Ich überlegte kurz, ob ich mich auf ihr Spielchen einlassen sollte. Aber das, was sie mir erzählte, brachte mich zum Nachdenken und das strengte meinen Kopf sehr an. Außerdem fiel es mir am Vormittag schwer, mich auf den Unterricht zu konzentrieren, weil meine Gedanken nur um Mahras Worte kreisten.
Da ich aber nicht den ganzen Abend schweigend verbringen wollte, nickte ich einwilligend.

„Heute ist es sternenklar, nicht wahr?“, fragte Mahra.
„Ja.“
„Was siehst oder empfindest du, wenn du die Sterne betrachtest?“, lautete die nächste Frage.
„Ich sehe weiße, glitzernde Pünktchen auf einem dunkelblauen bis schwarzen Hintergrund. Und ich empfinde es als beruhigend, den Sternenhimmel zu betrachten. Das könnte ich stundenlang machen.“
„Er fasziniert dich also. Weil er aus glitzernden Pünktchen und dunklem Hintergrund besteht.“, stellte Mahra fest und ich nickte zustimmend, „Weißt du, wie groß dieser so genannte Hintergrund ist?“
„Mein Vater hat mir einmal erklärt, dass das Weltall unendlich ist, das gilt dann doch auch für den Hintergrund, oder?“
„Genau, da hast du Recht, denn der Hintergrund ist ja das All. Und glaubst du wirklich, dass das es unendlich ist?“
„Keine Ahnung. Aber ich glaube, dass es zumindest riesengroß ist, wenn die Erde und all die anderen Planeten darin Platz haben. Und natürlich auch die Sonne und die vielen Sterne.“
„Denkst du, das All endet irgendwo?“
„Ja, eigentlich schon.“
„Okay und was ist dann dort, wo es endet? Eine dicke Mauer, wie die, die das Lager umgibt?“
„Ja, vielleicht. Woher soll ich das wissen?“
„Du sollst es ja nicht wissen, du sollst es dir nur überlegen.“
„Schon klar.“
„Gut. Und was ist deiner Meinung nach hinter dieser dicken Mauer, die das Weltall umgibt? Ich meine, hinter jeder Mauer ist doch etwas. Hinter der Lagermauer geht die Welt schließlich auch noch weiter.“
„Na, hinter dieser dicken Weltall-Mauer ist nichts. Absolut gar nichts.“
„Du meinst luftleerer Raum, also Vakuum?“
„Ja, genau.“
„Aber dann wäre ja doch etwas hinter der dicken Weltall-Mauer, nämlich Vakuum. Und ist dieses Vakuum dann unendlich oder hat auch das wieder ein Ende und was ist dann dort?“
„Mensch, du stellst vielleicht Fragen. Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll.“
„Gut, dann jetzt zu einer einfacheren Sache.“
„Okay.“
„Das Weltall ist, wie auch die Erde, uralt.“
„Ja, das weiß ich. Das hat mir auch mein Vater erzählt.“
„Die Sterne sind auch uralt und auch der Mond und eigentlich so ziemlich alles, was im All umherfliegt. Und eine Sache, finde ich dabei besonders unglaublich.“
„Was denn?“
„Dass die Dinosaurier, wenn sie zum Nachthimmel blickten, genau den gleichen Mond und die gleichen Sterne sahen, wie wir heute. Und auch die Sonne ist damals wie heute noch immer dieselbe.“
„Daran hab ich ja noch gar nicht gedacht! Das ist ja wirklich Wahnsinn!“, sagte ich so laut, dass ich fast schon schrie.
„Ich glaube, wenn du heute wieder zu deiner Hütte zurückgehst, wird der Nachthimmel für dich nicht mehr nur aus weißen Pünktchen und dunklem Hintergrund bestehen.“, meinte Mahra und schmunzelte.

Fassungslos und sprachlos zugleich schüttelte ich den Kopf. In mir herrschte ein absolutes Chaos, denn ich konnte das, was ich eben gehört hatte, nicht richtig verarbeiten.

„Keine Angst, wenn du morgen Früh aufwachst, bist du wieder ruhiger.“, meinte die Neunzehnjährige, als hätte sie einen Blick in mein Inneres geworfen.

Für einen Moment schwiegen wir und während ich mir über hundert Dinge den Kopf zerbrach, saß Mahra einfach nur da und schaute mich an.
Mir wurde das etwas unangenehm und so war ich froh, als mir plötzlich eine Frage in den Sinn kam, mit welcher ich die Stille brechen konnte.

„Wie war das Verhör gestern?“
„Ach…es war wie immer umsonst.“
„Wollen sie noch einmal mit dir reden?“
„Ja und es ist gut, dass du mich daran erinnerst. Ich muss dir nämlich sagen, dass ich in der kommenden Woche nicht mehr mit dir reden kann.“
„Warum das denn?“, fragte ich und seufzte enttäuscht.
„Sie wollen mich in den nächsten sechs Tagen jeden Abend verhören.“
„Hm…ich weiß nicht. Warum sind sie sich denn so sicher, dass du etwas weißt, was sie nicht wissen?“
„Glaubst du, ich weiß wirklich etwas?“, fragte Mahra und blickte mich überrascht an.
„Nein, aber kannst du ihnen nicht einfach sagen, dass du nichts weißt?“
„Ach, ich finde so ist es viel lustiger.“
„Du findest das lustig?“
„Nicht das Verhör an sich, sondern ihre Reaktionen, wenn ich ihnen meine Theorien und Gedanken auftische.“
„Wie reagieren sie denn?“
„Sie sagen mir, ich solle den Mund halten.“
„Das könnte daran liegen, dass du ihnen nicht das erzählst, was sie wissen wollen.“, erklärte ich mit leichtem Unterton.
„Ja, das auch. Aber ich wühle sie mit dem, was ich sage, auf. So wie dich heute.“
„Unsinn. Die lassen sich doch von nichts und niemandem beeindrucken oder beeinflussen.“
„Caroline, weißt du, was du ständig zu vergessen scheinst?“
„Nein, was denn?“
„Dass sie alle Menschen sind.“
„Schlechte Menschen, meinst du wohl.“
„Nur, weil sie falsch handeln, heißt das aber noch lange nicht, dass sie deshalb schlechter sind als du oder ich.“
„Du bist doch nicht etwa wieder dabei, sie in die Opferrolle schlüpfen zu lassen, oder?“, meinte ich trotzig.
„Nein, ich will damit nur sagen, dass die Aufseherinnen dieselben Urrechte haben, wie alle anderen Menschen auf dieser Welt.“
„Und diese Urrechte wären?“
„Leben und Liebe.“
„Du bist schon etwas wirr im Kopf, finde ich.“
„Ich war nicht diejenige, die bis vor kurzem noch dachte, der Nachthimmel bestünde aus weißen Pünktchen mit dunklem Hintergrund.“
„Das ist nicht fair, das war die einfachste Antwort auf deine Frage.“
„Gibst du dich immer mit der einfachsten Lösung zufrieden?“

In diesem Moment konnte ich nicht anders, als einfach loszulachen. Mir erschien alles so furchtbar absurd und verwirrend, dass ich es schon wieder lustig fand.
Allerdings war ich etwas überrascht, als auch Mahra zu lachen begann. Irritiert blickte ich sie an und runzelte die Stirn.

„So, für heute ist es wieder einmal genug. Komm einfach heute in einer Woche wieder, wenn du willst.“, sagte die junge Frau, als sie sich wieder beruhigt hatte.

Wir standen von den Betten auf, gingen die Treppe hinunter und traten ins Freie hinaus. Das erste, was ich draußen tat, war, hoch in den Sternenhimmel zu blicken. Und wirklich. Ich sah das Weltall nun aus einer komplett anderen Perspektive.
Mahra stupste mich vorsichtig an, um mich dazu aufzufordern weiterzugehen, denn ich stand direkt vor der Tür, sodass sie nicht heraus konnte.
Wir schlichen zum Zaun hinüber und ich schlüpfte durch die Geheimluke nach draußen.

„Gute Nacht und denk nicht zu lange nach, es ist schon spät und du musst morgen früh raus.“, flüsterte Mahra mir zu.

Sie wollte gerade das Brett wieder befestigen, als mich das Bedürfnis packte, ihr noch etwas zu sagen.

„Mahra, warte. Ich muss dir noch was sagen.“
„Ja?“, sagte sie und steckte noch einmal den Kopf durch die Öffnung.

Ich zögerte einen Moment und schaute Mahra einfach nur an. Das Licht des Mondes war so stark, dass ich sie ziemlich gut sehen konnte. Ihre Augen warfen mir fragende Blicke zu, die mich drängten, endlich zu sagen, was ich loswerden wollte.

„Ich bin froh, dass du da bist.“, sagte ich schnell und huschte in gebückter Haltung davon.
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptyDo Dez 13, 2007 10:17 am

Ich finds unglaublich gut, dass du die Story mit dem Weltall eingebracht hast. Sehr toll, wirklich.
Was ich aber noch gemacht hätte, bei diesem längeren Dialog nämlich, ist, dass ich ein oder zweimal in der Mitte des Dialogs hinten dran geschrieben hätte, wer gerade spricht. Ich hab nämlich irgendwie die Übersicht verloren, wer gerade spricht, also gegen Ende des Dialogs und ich musste nochmal schauen, wer nun wer ist, der spricht.

Aber sonst wirklich sehr toll. Und ich finde es so süß, dass Caroline Mahra gesagt hat, dass sie froh ist, dass sie da ist Smile Richtig bewegend!

Bitte schnell weiter Very Happy
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptyDo Dez 13, 2007 6:03 pm

Ja, danke für den Hinweis. Ich hab mir die Stelle eben selbst noch mal durchgelesen und kam auch durcheinander. Werde das noch ändern! Danke für's Sagen!
Bei den nächsten Teilen kann es immer wieder zu unübersichtlichen Stellen kommen. Ich wäre froh, wenn du mir einfach immer sagst, wenn dir etwas zu schnell vorkommt oder unlogisch oder wenn du findest, etwas sollte noch etwas mehr ausgeschmückt werden.
Ich habe die Geschichte nämlich bisher nicht mehr im ganzen Stück durchgelesen und deshalb noch gar nichts überarbeitet. ^^

Unter weiter geht's:

-----------------------------------------------------

Die folgende Woche war die längste, die ich je erlebt hatte. Ich vermisste es unsagbar, abends nicht mehr zu Mahra gehen zu können.
Manchmal sah ich nachts vom Fenster aus zum Unterrichtszimmer hinüber und überlegte, was dort wohl gerade passierte. Ich hätte das zwar nie offen zugegeben, aber ich hatte große Angst und machte mir Sorgen.
Wenn Mahra den Aufseherinnen nicht das sagte, was sie hören wollten, würden sie zu grausamen Mitteln greifen, um ihre Informationen, die es nicht gab, zu bekommen. Davon war ich überzeugt und es wunderte mich eigentlich, dass sie diese Mittel nicht schon längst angewandt hatten.
Ich fragte mich, ob ich Mahra jemals wieder sehen würde. Und wenn ja, in welchem Zustand?
Die ganze Woche über hatte ich das starke Bedürfnis mit ihr zu reden und zu diskutieren, aber gleichzeitig hatte ich große Angst, sie nach den Verhörtagen zu besuchen.
Ich wusste ja nicht, was mich erwarten würde, worauf ich mich gefasst machen musste und ob ich mir vielleicht doch umsonst Sorgen machte, was ich natürlich stark hoffte.

Am vierten Verhörtag fand ich einen Zettel unter meiner Schulbank. Ich wusste sofort, dass er von Mahra war und nahm ihn sofort an mich. Glücklicherweise hatte Meredith Carpenter etwas Verspätung, deshalb konnte ich das zusammengefaltete Stück Papier gefahrlos im Bund meiner Hose verschwinden lassen.
Als ich mich wenige Stunden später zur Essensausgabe, die täglich vor dem ersten der drei großen Häuser stattfand, anstellte, hörte ich ein Geschrei vom Ende des Platzes.
Agatha Vise kam aus der verbotenen Hütte gestürmt und stapfte wütend hinüber zum mittleren Haus, indem sie – Türe zuschlagend – verschwand.
In mir machte sich wieder ein ungutes Gefühl breit und ich dachte darüber nach, was wohl auf dem kleinen Zettel stand. Ungeduldig wartete ich darauf, endlich an die Reihe zu kommen, damit ich zu unserer Hütte zurückkehren und Mahras Brief lesen konnte.
Mit fünf heißen, dampfenden Kartoffeln bepackt, rannte ich erst in unsere Küche, wo ich das Essen in den so genannten Vorratsschrank stellte, und dann hoch ins Schlafzimmer.
Mit zitternden Fingern zog ich mein Hemd hoch und griff nach dem Stück Papier, das noch immer in meinem Hosenbund klemmte. Ich faltete es auf und las gierig die Worte, die darauf standen und von denen ich glaubte, sie würden eine wichtige Botschaft überbringen.
Enttäuscht legte ich den Zettel beiseite und wiederholte noch einmal laut, was ich soeben gelesen hatte.

„’Die kleinen Dinge sind es, die Großes bewirken. Man muss sie nur erkennen und darf die Hoffnung nicht aufgeben.’“

Ich schüttelte den Kopf. Was hätte ich mir auch anderes erwarten sollen? Etwa einen Klagebrief?
Wenigstens konnte ich anhand des Inhaltes des Zettels mit Sicherheit sagen, dass er wirklich von Mahra war.
Aber woher hatte sie Papier und etwas zu schreiben? Und wie hatte sie den Zettel unbemerkt unter den Tisch schmuggeln können?
Was mich aber am meisten beschäftigte war die Frage, woher sie wusste, welche Schulbank die meine war. Ich konnte mich nämlich nicht erinnern, ihr irgendwann davon erzählt zu haben.
Aber Mahra war für mich im Allgemeinen eine geheimnisvolle Person. Allein ihr Aussehen und ihre besondere Stimme ließen sie mystisch und im ersten Moment vielleicht sogar unheimlich wirken.
Seit ich Kontakt mit ihr hatte, war das Leben im Lager nicht mehr ganz so schlimm, wie vorher.
Ich überstand die Tage leichter, wenn ich abends wieder zu der verbotenen Hütte gehen konnte. Ich hatte ein Ziel, auf das ich hinarbeiten konnte und das es wert war, stark zu bleiben und sich nicht gehen zu lassen.
An Tagen, an denen ich abends nicht zu Mahra gehen konnte, schien alles furchtbar schwer und trostlos zu sein. In dieser Zeit verlor ich das Bewusstsein für meine Umwelt und wenn ich nachts zum Himmel hoch schaute, so sah ich wieder nur weiße, glitzernde Pünktchen auf dunklem Hintergrund.
Mahra lehrte mich, die Welt und alles, was es darauf gab, mit anderen Augen zu sehen.
Auch wenn ich ihre Gedanken oft nicht ganz nachvollziehen konnte beziehungsweise wollte, so spürte ich doch tief in meinem Inneren, dass sie eine wichtige Bedeutung hatten.

„Hallo, Caroline.“, begrüßte mich meine Mutter am Abend des letzten Verhörtages.

Irgendetwas an ihr war anders. Die Art, wie sie mich anblickte und mit mir redete, war mir komplett fremd.
Seit wir von meinem Vater und meinen Brüdern getrennt worden waren, hatte meine Mutter eine Mauer um sich aufgebaut.
Damals glaubte ich, die sonst recht fröhliche Frau wäre durch den Krieg und die dadurch entstandenen Umstände so hart und emotionslos geworden. Heute weiß ich, dass diese Gefühlsmauer das Produkt tiefen Schmerzes, aufgrund des Verlustes ihres Ehemannes und ihrer beiden Söhne, war.
Seit der Trennung schien meine Mutter für nichts und niemanden mehr Liebe zu empfinden und ich hatte mit der Zeit gelernt, dies zu akzeptieren, auch wenn es wehtat.
Annies Mutter, Abbigail Quire, war nach dem Tod ihrer älteren Tochter, sogar noch fürsorglicher und liebevoller zu ihrem jüngeren Kind gewesen. Dafür hatte ich Annie oft beneidet, wofür ich mich seit dem Tag von Misses Quires Selbstmord sehr schämte.

„Mama, ich hab noch Suppe für dich.“, sagte ich etwas perplex auf ihre fröhliche Begrüßung.
„Caroline, ich fühle mich schrecklich.“, meinte meine Mutter daraufhin.
„Bist du krank? Leg dich lieber hin, ich bring dir die Suppe hoch.“, antwortete ich und drehte ihr den Rücken zu, um die Metallschüssel mit ihrem Essen aus dem Vorratskasten zu holen.
„Nein, ich esse hier.“, ich hörte, wie sie zum Küchentisch ging und sich dort auf einen der Stühle setzte, „Ist Annie heute gar nicht da?“
„Doch, aber sie hat schon gegessen und ist drüben bei Lilly.“
„Die beiden verstehen sich wirklich gut, nicht wahr?“
„Ja, ich denke schon.“, irritiert stellte ich meiner Mutter ihr Abendessen hin.
„Ich finde, wir beide haben uns in letzter Zeit nicht mehr so gut verstanden.“
„Mama, ich…“, begann ich.
„Das ist auch gar nicht deine Schuld.“, unterbrach sie mich.

Und dann passierte es. Völlig unangekündigt fing meine Mutter an zu weinen. Sie weinte so sehr, dass sie am ganzen Körper zitterte.

„Mama, was ist denn los?“, ich setzte mich neben sie und nahm sie in den Arm.

Diese Situation verunsicherte mich so sehr, dass ich am liebsten selbst losgeweint hätte.

„Heute in der Fabrik habe ich eine Katzenmutter mit ihren drei Jungen entdeckt.“, schluchzte sie, „Ich habe nur ein stilles Plätzchen für die Mittagspause und zum Essen gesucht und da waren dann plötzlich diese drei Fellbündel mit ihrer Mutter in dieser dreckigen Nische. Ich bin auf sie zugegangen. Erst als ich nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt war, hab ich gesehen, dass zwei der Jungen tot waren. Aber anstatt traurig über den Verlust der beiden Kätzchen zu sein, kümmerte sich die Mutter um ihr lebendes Kind. Und das tat sie mit solch einer Hingabe und Liebe – das hätte ich nie für möglich gehalten.“
„Ach Mama, du musst doch nicht traurig sein wegen der kleinen, toten Kätzchen.“, sagte ich etwas ratlos, denn ich wusste nicht, was sie mir mit dieser Geschichte sagen wollte.
„Genau, du hast ja so Recht. Ich muss wegen der zwei toten Kätzchen nicht traurig sein. Ich muss nicht traurig sein, weil Jonathan und Andrew nicht mehr bei uns sind.“
„Und Papa.“
„Ja, Papa natürlich auch. Ich sollte doch eigentlich glücklich und dankbar sein, dass du hier bei mir bist. Du bist alles, was ich noch habe und trotzdem konnte ich dir meine Liebe nicht geben. So etwas sollte einer Mutter nicht passieren.“

Meine Mutter legte ihre Arme um mich und drückte mich ganz fest an sich. Ich war so überwältigt von diesem Ereignis, von diesem kleinen Wunder, dass ich mich nicht länger zurückhalten konnte und gemeinsam mit meiner Mutter weinte.
An diesem Abend redeten wir sehr lange und als ich später in meinem Bett lag, fühlte ich mich so gut, wie lange nicht mehr. Ich glaubte, dass nun alles gut werden würde, da ich ja nicht mehr alleine war, sondern meine Mutter nach Jahren wieder zurück gewonnen hatte.
Ich schloss gerade meine Augen, als mir plötzlich Mahras Brief wieder einfiel. Ich ärgerte mich, denn ihre Worte brachten mich ins Grübeln und hielten mich somit vom Schlafen hab.
Gegen meinen Willen arbeitete mein Kopf daran, ihre Worte zu verarbeiten, aber mein Gehirn schien im Lehrlauf zu rennen.
Aber ganz plötzlich kam mir ein Gedanke, der mich wieder hellwach machte und mich dazu brachte, mich kerzengerade im Bett aufzurichten.
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptySa Dez 15, 2007 4:16 pm

Gerne sage ich dir Bescheid, wenn mir etwas nicht so fließend oder logisch oder was auch immer vorkommt Smile Helfe doch gerne weiter Smile

Zur Fortsetzung. Ich finde besonders diese Aussage grandios: "...diese Gefühlsmauer das Produkt tiefen Schmerzes..." <-- was für eine Aussage - WOW!!!
Und ich finde es so toll, dass du ihre Mutter nun ins Spiel gebracht hast und dass diese zur Erkenntnis gekommen ist, dass es viel wichtiger ist, ihrer Tochter, die bei ihr ist, Liebe zu geben, als endlos traurig über den Verlust der anderen zu sein.
Und Mahras Brief...Der bringt mich auch zum Grübeln *gg* Ich will wissen, was Caroline auffahren ließ Smile
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptySa Dez 15, 2007 4:37 pm

Danke! ^^
Ja, die Beziehung zwischen Caroline und ihrer Mutter ist so eine kleine Nebenhandlung. ^^

Like a Star @ heaven Like a Star @ heaven Like a Star @ heaven Und weiter gehts Like a Star @ heaven Like a Star @ heaven Like a Star @ heaven

----------------------------------------------------

„’Die kleinen Dinge sind es, die Großes bewirken. Man muss sie nur erkennen und darf die Hoffnung nicht aufgeben’“, flüsterte ich, während meine Hände auf meiner Brust ruhten, die heftig bebte, weil mein Herz so schnell schlug.

Kleine Katzen, die versteckt und unauffällig in einer Nische lagen, wurden durch reinen Zufall von meiner Mutter entdeckt, was ihr eine große Erkenntnis einbrachte.
Sie hatte das Kleine entdeckt, das etwas Großes bei ihr bewirkt hatte.
Aber woher konnte Mahra das wissen? Ihre Worte passten nämlich wie die Faust aufs Auge, wenn ich sie mit dem Ereignis vom Abend in Verbindung brachte. Oder war das alles nur purer Zufall?

„Heute Mittag konnte ich mit Mahras Worten nichts anfangen und jetzt auf einmal ist alles so logisch.“, flüsterte ich.

Ich hatte das Gefühl, mich selbst reden hören zu müssen, um ganz sicher zu sein, dass ich nicht träumte.
Es musste alles ein Zufall sein, denn ich hatte Mahra nie von meiner Mutter erzählt und schon gar nicht von der schlechten Beziehung zwischen ihr und mir. Wie konnte das nur möglich sein?
Ich war so durcheinander von den vielen Fragen, die mir durch den Kopf schossen, dass ich erst Stunden später einschlafen konnte.
Der folgende Tag war alles andere als angenehm, denn ich war innerlich furchtbar aufgeregt und nervös. Denn am Abend konnte ich wieder zur verbotenen Hütten gehen.
Sobald es dunkel geworden war, schlich ich ans Ende des Platzes und kroch zum Zaun hinüber.
Ich wartete mehrere Minuten darauf, dass Mahra die Geheimluke öffnete, aber nichts geschah.
Unsicher überlegte ich, was ich nun tun sollte. Ich konnte entweder zurückgehen oder versuchen auf eigene Faust das Brett zu lösen.
So leise wie möglich fing ich an am Zaun herumzuwerkeln und es dauerte ein bisschen, bis ich es schaffte, die Luke zu öffnen.
Mit klopfendem Herzen huschte ich durch die Öffnung, betrat die verbotene Hütte und schloss die Türe hinter mir.

„Mahra?“, fragte ich zögernd und lauschte in die Stille.
„Ich bin im Bett.“, bekam ich zur Antwort.
Erleichtert darüber, die tiefe und angenehme Stimme zu vernehmen, hüpfte ich die Treppe nach oben.
Mahra lag in ihrem Bett, zugedeckt bis zur Brust.

„Warum warst du nicht unten, ich wäre beinahe nicht hereingekommen.“, meinte ich vorwurfsvoll und setzte mich auf die Bettkante.

Die junge Frau schlug die Decke beiseite und offenbarte mir somit mehr als einen Grund, warum sie mich nicht abgeholt hatte.
Erschrocken und entsetzt zugleich sprang ich auf.

„Was haben die mit dir gemacht?“, platzte ich heraus.

Mahra hatte ihre Hose etwas hochgekrempelt, sodass ich ihre Beine sehen konnte. Sie wiesen haufenweise Blutergüsse und Schrammen auf.
Mit dem linken Fuß schien auch noch etwas nicht zu stimmen. Er war etwas verformt und wirkte schlaff.

„Jetzt weißt du, warum ich nicht unten war.“, sagte die Neunzehnjährige und decke sich wieder zu.
„Aber…aber…“, ich fand keine Worte mehr für das, was ich sah.
„Mach dir keine Gedanken. Auch dieses Schlechte hat etwas Gutes an sich.“
„Sag mal tickst du noch richtig?“, schrie ich jetzt und rannte aufgebracht im Raum hin und her, „Du sitzt in deinem Bett mit blau geprügelten Beinen und sagst, dass da etwas Gutes dabei sein soll? Nein, also ehrlich…!“
„Es ist okay, wenn du dich aufregst, aber mach das etwas leiser.“

Erschrocken schlug ich beide Hände vor den Mund und huschte zum Fenster, um zu sehen, ob sich in den drei großen Häusern etwas tat. Gott sei Dank waren alle Lichter aus und es herrschte draußen absolute Stille.
Mit leiser Stimme donnerte ich weiter.

„Geht’s dir jetzt besser?“, fragte Mahra, als sie sich einen fünfminütigen Vortrag von mir angehört hatte.
„Bist du denn gar nicht böse auf diese Hexen?“, fassungslos blickte ich sie an.
„Natürlich, am Anfang hätte ich ihnen am liebsten das gleiche angetan. Aber was hätte es mir gebracht?“

Ich blickte betroffen zu Boden, denn ich wusste, dass sie Recht hatte.

„Gestern Mittag war Miss Vise bei dir. Was hat die gewollt?“, wollte ich dann wissen.
„Sie hat mir nahe gelegt, allmählich mit meinen Informationen heraus zurücken.“
„Was hast du zu ihr gesagt?“
„Ich hab ihr gesagt, dass ich ihr gerne helfen würde, sich selbst zu finden und der Realität ins Auge zu blicken.“
„Kein Wunder, dass sie daraufhin wie eine Wilde aus deiner Hütte gestürmt kam.“, ich schüttelte den Kopf.
„Hast du eigentlich meinen Zettel gefunden?“, warf Mahra ein.
„Genau, der Zettel!“, rief ich und ärgerte mich hinterher darüber, dass ich so laut und unvorsichtig war.

Aufgeregt erzählte ich Mahra, was am Tag zuvor vorgefallen war und wie meine Mutter sich dadurch verändert hatte. Ich erwähnte dabei natürlich auch, dass ich es seltsam fand, dass die Worte auf dem Zettel zu dem Ereignis passten.
Die junge Frau hörte mir aufmerksam zu und hin und wieder huschte ein Lächeln über ihre Lippen.

„Willst du mir nicht sagen, was das alles soll?“, lauteten meine abschließenden Worte.
„Nein.“, bekam ich zur Antwort.
„Nein? Aber ich will das jetzt unbedingt wissen!“
„Tut mir leid, es ist noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür gekommen.“

Widerwillig nahm ich es hin, dass Mahra mir nichts erzählen wollte. Schließlich hatte ich keine andere Wahl.

„Sagst du mir wenigstens, was das Gute an deinen Prügelbeinen ist?“
„Nun, eine der Aufseherinnen hat mir bei den Verhören zugehört. Und zwar richtig zugehört, weißt du, was ich meine?“
„Du willst sagen, sie ist nun auf unserer Seite?“
„Nicht so ganz. Sie ist noch sehr distanziert, aber immerhin hat sie mir heimlich ein paar Schmerzmittel zugesteckt. Sonst könnte ich sicherlich nicht so uneingeschränkt mit dir reden.“
„Ach so ist das. Ich hab mich irgendwie schon gewundert, dass du so ruhig bist.“
„Das Dumme an den Tabletten ist, dass sie einen sehr müde machen.“
„Hauptsache es geht dir halbwegs gut. Aber ich finde, dein linker Fuß sieht komisch aus.“
„Das ist mir auch aufgefallen, er wird wohl gebrochen sein.“, meinte Mahra unbeeindruckt.
„Als ich mir einmal den Arm gebrochen habe, bekam ich einen dicken Gipsverband damit die Knochen wieder richtig zusammenwachsen konnten. Ich glaube, so etwas bräuchtest du auch. Aber wenn du den Fuß ganz ruhig liegen lässt, sagen wir für einen Monat, dann sollte es eigentlich auch klappen oder?“
„Einfacher gesagt als getan.“, seufzte Mahra.
„Sag mal, welche der Aufseherinnen war es denn, die dir die Schmerzmittel gegeben hat?“
„Francine Forrester.“
„Die, die das Essen austeilt? Die ist doch der reinste Horror!“, entgegnete ich entsetzt.
„Ja, bisher war sie wirklich nicht gerade einfach. Glaubst du mir, wenn ich dir sagen, dass sich das ändern wird?“

Ich überlegte einen Moment und nickte dann.

„Gut, dann wirst du es auch verstehen, dass du in Zukunft nur noch jeden zweiten Abend kommen kannst.“
„Kannst du mir einen Grund dafür nennen?“
„Weil Francine Forrester ebenfalls jeden zweiten Abend herkommen wird. Und ich weiß nicht, ob es gut wäre, wenn ihr euch hier über den Weg läuft.“
„Warum kommt die denn zu dir?“, ich war verwirrt.
„Aus demselben Grund, aus dem du zu mir kommst, Caroline.“
„Aber ich komme zu dir, um zu reden und zu diskutieren.“
„Ganz genau.“
„Sie kommt zu dir, um mit dir zu reden?“, ich konnte es nicht glauben.
„Ja. Aber ich möchte dich bitten, dass du niemandem davon erzählst. Denn es ist für Francine ebenso gefährlich herzukommen, wie für dich. Sprich sie auch nicht darauf an, denn sie weiß nicht, dass du mich besuchst.“
„Warum nicht?“
„Weil ich nicht weiß, was sie dann tun würde.“
„Kein Wunder, dass du in dem Lager, in dem du vorher warst, einen Aufstand verursacht hast. Deine Worte lassen nicht einmal einen Felsbrocken wie Francine Forrester kalt.“

Mahra lächelte. Sie gab mir das Gefühl, dass sie etwas ausheckte und irgendwie machte sie mir dadurch Hoffnungen.
An diesem Abend begann ich zu glauben, dass unser Dasein in diesem Lager irgendwann ein Ende haben würde und das gab mir Kraft.

„Caroline, sei mir nicht böse. Aber ich bin furchtbar müde.“
„Okay, dann verschwinde ich für heute. Also dann bis übermorgen?“
„Ja, bis übermorgen.“

Ich wollte gerade die Treppe nach unten steigen, als ich noch einmal Mahras Stimme vernahm.

„Caroline.“
„Ja?“, antwortete ich und drehte mich noch einmal zu ihr um.
„Weiß deine Mama, dass du zu mir kommst?“, fragte sie.
„Nun ja, eigentlich nicht.“, gab ich zu und bekam insgeheim ein schlechtes Gewissen.
„Was würde sie sagen, wenn sie es erfahren würde?“, wollte Mahra wissen.
„Sie würde mir vermutlich verbieten, dich weiterhin zu besuchen.“
„Warum?“
„Weil sie denkt, dass du gefährlich bist. Alle denken das.“
„Okay. Ich wünsche dir nun eine gute Nacht.“, sagte die Neunzehnjährige und blickte nachdenklich in Richtung Fenster.
„Ja, gute Nacht, Mahra. Bis übermorgen.“

Obwohl es mich interessierte, warum Mahra dies alles wissen wollte, hielt ich mich zurück. Es ging ihr nicht besonders gut und mit einem unguten Gefühl in der Herzgegend stieg ich die Treppe hinab.
Ein paar Minuten später war ich schon wieder durch die Geheimluke geschlüpft und huschte über den Platz.
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptySa Dez 15, 2007 7:25 pm

*brrr* Du folterst Mahra ja richtig...Aber finde ich gut, dass eine Frau auch so schreiben kann. Die ganzen Details, dass der Fuß verformt und schlaff wirkt. Sehr genial!

Also ich bin gespannt, wie es weitergeht. Vor allem finde ich echt genial, dass diese Francine auch Interesse an Mahra und ihren Gedanken hat Smile
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptySa Dez 15, 2007 7:34 pm

Ja...ich weiß, dass es etwas gewalttätig ist. Aber ich glaube, es wäre schlimmer, wenn ich die Folterungen selbst beschrieben hätte. ^^

So, jetzt kommen Stellen, die ich vielleicht noch umschreiben werde. Mal schauen, welchen Eindruck sie auf dich machen. ^^

-----------------------------------------------------

Die Tage vergingen und bald wurden daraus Wochen. Wie Mahra es mir gesagt hatte, besuchte ich sie nur noch jeden zweiten Tag.
Ihre Beine waren schnell wieder verheilt, nur der Fuß machte ihr große Probleme.
Die Knochen waren schief zusammengewachsen und das Fußgelenk war steif geworden, sodass Mahra es nicht mehr bewegen konnte.
Francine Forrester hatte ihr heimlich eine alte Krücke zukommen lassen, mit der die junge Frau seither durch die Gegend humpelte und die ihr das Gehen etwas erleichterte.
Aber das war nicht das einzige, was in die verbotene Hütte geschmuggelt wurde. Auch Papier und Schreibmaterial entdeckte ich eines Abends im Schlafzimmer von Mahra. Darunter auch ein paar Kuverte.
Die Aufseherin, die der Neunzehnjährigen jeden zweiten Abend einen Besuch abstattete, hatte sich seither sehr verändert.
Es schien eine Veränderung im Anmarsch zu sein. Ich konnte es in meinen Fingerspitzen fühlen, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.
Auch Menschen veränderten sich, so zum Beispiel Francine Forrester.
Bei der Essensausteilung landete immer mehr Essen in den Metallschüsseln der Gefangenen. Statt der üblichen fünf Kartoffel, gab es nun sogar sieben oder acht. Und statt einem Schöpfer Suppe, gab es drei.
Ich hätte zu gerne gewusst, worüber Mahra mit der Frau sprach oder ob sie irgendwelche Pläne ausheckten. Aber was sollten das für Pläne sein?
Wenn ich Mahra nach ihren Gesprächsthemen fragte, meinte sie nur, dass ich das nicht wissen müsse und riet mir auch gleich davon ab, ihnen hinterher zu spionieren.

„Mahra, hast du Kontakt zur Außenwelt?“, fragte ich meine Freundin, als ich wieder einmal bei ihr war und wir gemütlich am Küchentisch saßen.
„Nein, wieso fragst du?“, bekam ich zur Antwort.
„Du hast Briefkuverte und die wirst du doch wohl nicht umsonst haben, oder?“
„Da hast du Recht. Aber in der Außenwelt gibt es niemanden, dem ich Briefe schreiben könnte, weißt du?“
„Überhaupt niemanden?“
„Nein.“
„Wie kommt es dann, dass manche Kuverte verschlossen, beschriftet und sogar mit Briefmarken versehen sind?“
„Hast du etwa gelesen, was darauf steht?“, Mahra blickte mich streng an.
„Nein, ich hab’s nur von der Ferne gesehen.“, antwortete ihr ehrlich und erschrocken über ihre Reaktion.
„Gut.“

Wir saßen eine Zeit lang schweigend da und tranken unsere Wasserbecher aus. Das Wasser war sehr warm und angenehm wohltuend, da wir es zuvor abgekocht hatten.

„Werde ich jemals erfahren, worüber du und Francine Forrester redet?“, fragte ich hoffnungsvoll.
„Ich denke nicht. Es weiß ja auch niemand, was ich mit dir bespreche. Und…“
„…ich soll nicht spionieren, ich weiß.“, vollendete ich ihren Satz.
„Caroline, mir ist klar, dass dir das alles furchtbar mysteriös vorkommt und dass du vielleicht denkst, wir hecken irgendwas aus, aber das ist nicht so. Das musst du mir glauben. Diese Frau ist nur ein armer Mensch und das ist alles, was ich dir sagen kann.“
„Na schön.“, seufzte ich und trank den letzten Schluck Wasser in meinem Becher.
„Sag mal, hast du schon einmal einen toten Menschen gesehen?“, fragte Mahra plötzlich.

Ich verschluckte mich beinahe, als ich das hörte und mir schossen wieder tausende Bilder von Miss Quires Gesicht durch den Kopf, als sie an dem Bettlaken von der Decke baumelte.

„Dein Gesicht verrät mir, dass die Antwort ‚Ja’ lautet.“, meinte die junge Frau wenig überrascht, stand auf, stellte ihren Plastikbecher zur Spüle und setzte sich dann wieder, „Magst du mir davon erzählen?“

Ich schüttelte sprachlos den Kopf.

„Die arme Annie, sie weiß nicht einmal, warum ihre Mutter das getan hat.“
„Woher…woher weißt du das? Hat dir das Francine Forrester erzählt?“
„Ja, hat sie.“
„Aber, was hat das mit mir zu tun und damit, ob ich schon einmal einen toten Menschen gesehen habe?“, sagte ich und mein Herz fing an zu rasen, weil ich Angst vor der möglichen Antwort hatte.
„Weil du die gute Misses Quire gefunden hast.“
„Aber, das kannst du gar nicht wissen und Francine Forrester auch nicht! Nur meine Mutter weiß davon und die hat es bestimmt nicht weitererzählt!“, erschrocken sprang ich von meinem Stuhl auf, denn genau das war die befürchtete Antwort gewesen.

Mir wurde unheimlich zumute. Plötzlich jagte mir die Dunkelheit, die uns umgab und eigentlich immer beschützt hatte, Angst ein.
Mahra saß vor mir und blickte mich an. Ihre Augen fixierten mich förmlich, während ihre tiefe Stimme auf mich einredete.

„Beruhige dich, Caroline!“
„Woher weißt du das? Ich habe dir nie davon erzählt!“
„Du schaust mich an, als wäre ich ein Geist oder sonst was.“
„Dann erklär’s mir!“
„Es ist ganz einfach. An dem Abend bist du wieder um meine Hütte geschlichen. Denkst du, ich habe dich nicht gesehen? Als Agatha Vise dich dann erwischt hat, hast du dich hinter Annies Hütte versteckt. Die Kleine hat dich gefunden und ihr habt geredet. Dann seid ihr in der Hütte verschwunden und als ihr herauskamt, bist du mit Annie schnellen Schrittes verschwunden. Am nächsten Tag trugen sie dann die Leiche aus dem Haus. Caroline, ich hab das alles gesehen, Annies Hütte ist keine zehn Meter von der meinen entfernt.“

Mit klopfendem Herzen setzte ich mich wieder hin und atmete erstmals tief durch.

„Was denkst du, was ich bin? Eine Hexe?“, sagte Mahra freundlich lächelnd und mit schief gelegtem Kopf.
„Nein, aber mit dir stimmt trotzdem was nicht. Du schreibst Zettel mit versteckten Prophezeiungen, du erzählst seltsame Dinge und du triffst dich jeden Abend mit einer unserer Aufseherinnen. Und du stellst einer Zwölfjährigen die Frage, ob sie einen toten Menschen gesehen hat. Das ist nicht normal.“
„Aber die Frage war gerechtfertigt, das musst du schon zugeben.“
„Gut. Aber was bezweckst du damit? Und jetzt sag ja nicht…“
„Das erfährst du ein anderes Mal.“
„Na bitte, genau das wollte ich nicht hören.“
„Ich weiß. Dafür kann ich dir sagen, warum Abigail Quire sich das Leben genommen hat.“
„Hat sie dir das gesagt, oder?“, meinte ich abschätzig, sarkastisch und skeptisch zugleich.
„Nein, aber Francine hat es mir gesagt.“
„Und woher weiß die das?“
„Sie weiß es nicht, sie hat mir nur die Fakten geliefert. Sie hat mir von Molly erzählt.“
„Ja, sie hatte einen tödlichen Unfall in der Fabrik.“
„Es war kein tödlicher Unfall, Caroline. Francine hat gesagt, Molly hätte in der Fabrik unaufgefordert die Arbeit unterbrochen.“
„Und warum?“, ich wurde neugierig.
„Um bei der Geburt dreier Katzenjungen zu zuschauen.“
„Die Kätzchen, die meine Mutter vor ein paar Wochen entdeckt hat?“, ich konnte es nicht fassen.

Mahra nickte nur.

„Was ist mit Molly passiert?“
„Sie ist tot, mehr brauchst du nicht zu wissen.“

Ich ärgerte mich – wie schon so oft – über Mahras Verschwiegenheit. Sie sagte nie mehr, als nötig war. Dazu kam ihre ruhige Art. Sie schien die Ruhe in Person zu sein und es machte mich manchmal wahnsinnig, dass sie nie ausrastete oder wütend wurde.
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptySa Dez 15, 2007 8:05 pm

Mich machts auch wahnsinnig, dass Mahra so eine Ruhe, so eine Gelassenheit hat *gg* Du hörst immer an den spannendsten Stellen auf *Gg* Ich will sofort wissen, wie es weitergeht *g*

Ich glaube es ist besser, wir erfahren nie, wie Mahra wirklich gefoltert wurde. Da würde mir wahrscheinlich schlecht werden beim Lesen...*brrr* *gar nicht dran denken mag*
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptySa Dez 15, 2007 9:03 pm

So, nun zum vorletzten Teil. ^^

-------------------------------------------

„Was hat das mit dem Selbstmord zu tun?“, fragte ich nun.
„Abigail Quire hat den Tod ihrer Tochter nicht ertragen. Sie sah keinen Sinn mehr in ihrem Leben. Sie hat einfach aufgegeben.“
„Und Annie?“
„Sie war nur der Grund, der den Selbstmord um zwei Monate verzögert hat, glaube ich. Aber Abigail Quire hätte es ohnehin getan. Wenn ein Mensch die Hoffnung verliert, aus welchem Grund auch immer, dann gibt es für ihn keine Rettung mehr.“, meinte Mahra.
„Sie hatte doch Annie, war das nicht genug Grund für sie, am Leben zu bleiben?“, warf ich empört ein.
„Du darfst Abigail keine Vorwürfe machen, Caroline. Nichts und niemand hätte sie von ihrem Entschluss abhalten können. Sie muss fürchterlich gelitten haben. Diese innere Zerrissenheit und der Kampf mit sich selbst. Und das jeden Tag.“
„Das entschuldigt gar nichts.“, sagte ich kopfschüttelnd.
„Doch, in gewissem Sinne tut es das, auch wenn es schwer zu verstehen ist. Abigail Quire war nämlich nicht nur Mutter, sie war vor allem Mensch.“

Obwohl ich mich dagegen wehrte, gab ich Mahra mehr und mehr Recht, auch wenn alles so furchtbar unfair erschien.

„Caroline, ich möchte, dass du niemals die Hoffnung aufgibst. Und wenn es dir doch einmal passieren sollte, denk an Annies Mutter und dann mach es besser als sie und entscheide dich für das Leben. Denn die Sonne geht nur unter, um wieder aufgehen zu können!“

Wir schwiegen für einen Moment und schauten uns einfach nur an. Während wir stumm dasaßen kam mir schließlich ein Gedanke, der mich schon sehr lange beschäftigte.

„Glaubst du, dass das alles hier jemals enden wird?“, fragte ich schließlich.
„Ja.“, lautete Mahras bestimmte Antwort.
„Manchmal habe ich Angst, dass ich das nicht mehr erleben werde.“, flüsterte ich mit Tränen in den Augen.

Die Zukunft machte mir Angst, allein der Gedanke daran. Ich war zwölf Jahre alt, blass, dünn und schwach.
Eine einfache Grippe konnte für mich den Tod bedeuten und darüber war ich mir sehr wohl bewusst, weil es schon vielen Kindern im Lager so ergangen war. Je mehr Zeit verging, desto schlimmer wurden die Verhältnisse in unserem Gefängnis.
Die einfachen Hütten hatten im Laufe der Jahre Schäden durch starken Wind oder schwere Hagelstürme erlitten. Niemand hatte das nötige Werkzeug oder das Material, um die Löcher in Dächern und Fenstern zu reparieren.
Und den Aufseherinnen war dies sowieso egal. Ging an ihren großen Häusern etwas kaputt, kamen Handwerker, die alles wieder wie neu aussehen ließen.
Die Winter waren oft lang und so ging uns die Kohle, die quasi der Lohn für die Arbeit der Frauen im Waffenlager war, auch recht bald aus.
Oft lagen wir Tag und Nacht in unseren Betten und versuchten uns gegenseitig zu wärmen. Wir standen nur auf, um uns zur Essensverteilung anzustellen.
Wenigstens gaben die Aufseherinnen in den kalten Jahreszeiten jedem eine besonders warme Wolldecke. Schließlich konnten sie es nicht zulassen, dass ihnen in den Wintermonaten ihre Arbeiterinnen krank wurden, denn Waffen wurden das ganze Jahr gebraucht.

„Du wirst lebend und auf deinen eigenen Füßen durch das große Stahltor aus diesem Lager gehen.“, hörte ich Mahras tiefe Stimme.
„Ich frage mich, woher du all deine Zuversicht nimmst. Schon bei den Verhören hattest du keine Angst, weil du darauf vertraut hast, dass du überlebst.“
„Die Verhöre waren schrecklich, das kannst du ruhig wissen. Aber allein, dass ich einer Aufseherin die Augen öffnen konnte, war und ist es wert, nun mit einer Krücke herumlaufen zu müssen.“
„Das klingt, als hättest du von Anfang an gewusst, dass Francine Forrester dir zuhören würde.“, stellte ich überrascht fest.
„Da kann ich dir nicht widersprechen.“
„Aber wieso warst du dir da so sicher?“

Mahra lächelte und ich vermutete schon, was nun kommen würde.

„Es ist spät, für heute reicht es mal wieder.“

Das sagte sie oft, wenn ich ihr eine wichtige Frage stellte. Manchmal sagte sie auch, ich würde etwas ein anderes Mal erfahren, ohne, dass sie mich dabei heim schickte. Dann konnte ich nie sicher sein, wann sie mir wirklich davon erzählen würde.
Aber wenn Mahra mir eine Frage nicht beantwortete, indem sie meinte, es wäre schon „zu spät für heute“, war es bisher jedes Mal so gewesen, dass sie beim nächsten Besuch mit mir darüber sprach. Soweit hatte ich die junge Frau schon durchschaut.
Deshalb beschwerte ich mich auch nicht, als sie mich dieses Mal wieder wegschickte, denn ich wusste, sie würde mir beim nächsten Treffen davon erzählen.

„Es ist schade, dass du nicht auch einmal zu meiner Hütte kommen kannst.“, sagte ich noch schnell, bevor ich ins Freie verschwand.
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptySo Dez 16, 2007 11:31 am

Der vorletzte Teil schon Crying or Very sad Aber es ist eine großartige Geschichte, ich wünschte, sie würde nie enden *hehe* Ach jaja, immer sagt Mahra das nächste Mal, deswegen fesselt mich deine Geschichte auch so *g*
Wieder sehr toll geschrieben Smile Ich freu mich auf den letzten Teil Smile
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptySo Dez 16, 2007 3:43 pm

So, nun der letzte Teil. Nun ja, eigentlich ist es ja nicht der letzte, ich muss nur endlich mal weiterschreiben. ^^

schön, dass dir die geschichte noch immer gefällt!

-----------------------------------------------------

Als ich meine Hütte betrat, sah ich auf dem Küchentisch eine brennende Kerze. Ich ging verwundert darauf zu und entdeckte meine Mutter, die auf einem Stuhl saß und mich ernst anblickte.
Ich hatte ihr niemals etwas von meinen nächtlichen Wanderungen erzählt, ich hielt es nicht für notwendig, ihr davon zu berichten oder sie um Erlaubnis zu fragen.
Immerhin war sie von ihrer täglichen Arbeit so erschöpft, dass sie nachts sehr tief schlief und nicht mitbekam, wenn ich mich hinaus- oder wieder hereinschlich.
Ich hatte eigentlich auch nie ein schlechtes Gewissen gehabt, weil ich ohne ihr Wissen zur verbotenen Hütte ging. Bis auf dieses eine Mal, als Mahra mich darauf ansprach.
Es war so normal geworden, mich jeden zweiten Tag über den Platz zu Mahra zu schleichen, dass ich alles andere rundherum ganz und gar vergessen hatte.

„Wo warst du?“, hörte ich meine Mutter mit strengem Ton fragen.
„Mama, ich…“, wollte ich versuchen mich herauszureden.
„Ich will wissen, wo du warst!“, sie ließ mich keinen Moment aus den Augen.
„Bei der verbotenen Hütte.“, antwortete ich und blickte schuldbewusst zu Boden.
„Wie oft warst du schon dort?“
„Ich bin jeden zweiten Tag dort.“, sagte ich ehrlich.

Es hatte sowieso keinen Sinn mehr, irgendwelche Dinge zu erfinden oder Lügen zu erzählen. Nur meine Ehrlichkeit konnte in dieser Situation noch hilfreich sein.

„Sag mal, spinnst du eigentlich! Weißt du, was passiert, wenn sie dich erwischen?“, erhob meine Mutter die Stimme.
„Ich bin vorsichtig.“
„Vorsichtig nennst du das? Was hast du eigentlich bei dieser Hütte zu suchen, hm?“
„Ich besuche Mahra.“
„Wen?“
„Mahra, das ist das Mädchen, das dort wohnt.“
„Und wann hattest du vor, mir das zu sagen?“
„Gar nicht, um ehrlich zu sein.“, sagte ich leise.
„Du wirst dich von dieser Person fernhalten!“
„Aber warum, Mama?“, wollte ich nun wissen.
„Die Aufseherinnen sagen, sie ist gefährlich!“
„Sie ist nicht gefährlich!“, verteidigte ich meine Freundin.
„Sie hat hundert Menschen getötet!“
„So ein Unsinn!“
„Du hältst dich von ihr fern, hast du verstanden!“
„Nein, das werde ich nicht tun!“

Wütend rannte ich die Treppe wieder empor und ließ mich in mein Bett fallen. Ich lauschte, ob meine Mutter mir folgte, aber ich konnte nichts hören.
Sie saß wohl unten auf ihrem Stuhl und rieb sich die Stirn, denn das tat sie immer, wenn sie nachdachte.
Es dauerte ein paar Minuten, bis ich ihre Schritte vernahm. Ich stellte mich schlafen, aber meine Mutter durchschaute mich.
Sie ging neben meinem Bett in die Hocke und streichelte mir über den Kopf, was mich sehr überraschte.

„Caroline, ich habe doch nur Angst um dich. Du bist alles, was ich noch habe!“, flüsterte sie, „Und ich bin traurig, weil du mir nichts gesagt hast.“

Ich öffnete die Augen und sah aufgrund der Dunkelheit nur ihre Umrisse.

„Mama, sie ist nicht gefährlich.“, sagte ich, ohne auf die Worte meiner Mutter einzugehen. „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.“, seufzte diese.
„Sie hat doch auch mir nichts angetan, obwohl sie es leicht hätte tun können. Sie könnte auch sonst keinem Menschen etwas antun und schon gar keinen hundert Menschen.“
„Aber es muss doch einen Grund dafür geben, dass sie in dieser Hütte eingesperrt und isoliert wird.“
„Mahra hat gesagt, dass ihre Worte den Aufseherinnen gefährlich werden können.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Mahra ist sehr klug, ihre Worte lassen keinen kalt. Sogar eine der Aufseherinnen hat sie damit berührt. Francine Forrester ist dabei, sich auf unsere Seite zu stellen, glaube ich.“
„Die, die das Essen austeilt?“
„Ja, genau.“
„Und die soll sich ändern? Das glaubst du doch wohl selbst nicht!“
„Doch. Sie ist der Grund, warum ich nur jeden zweiten Tag zu Mahra gehen kann. An den anderen Tagen ist Francine Forrester bei ihr – heimlich natürlich. Und eigentlich dürfte ich dir davon gar nichts erzählen, deshalb musst du mir versprechen, dass du es für dich behältst!“
„Wenn das, was du sagst, wirklich stimmt, wäre das ein Wunder! Und Wunder geschehen überall auf der Welt, nur nicht hier in diesem Lager.“
„Bitte, du musst mir glauben, Mama!“
„Ich weiß nicht…, ich glaube, wir sollten jetzt lieber schlafen gehen. Es ist schon sehr spät.“
„Lässt du mich übermorgen wieder zu Mahra gehen?“, fragte ich und richtete mich im Bett ein wenig auf.
„Das kann ich dir noch nicht sagen. Reden wir morgen darüber, wenn ich von der Arbeit komme.“
„Mama, das alles ist sehr wichtig für mich. Bitte nimm es mir nicht weg.“, flüsterte ich.
„Gute Nacht, mein Schatz.“, entgegnete meine Mutter sanft und legte sich in das Bett neben mir.
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptySo Dez 16, 2007 8:01 pm

Hoffentlich verbietet es ihre Mutter nicht *mitfieber*

Ach, die täglichen Fortsetzungen werden mir fehlen. Aber gut Ding will Weile haben, also lass dich nicht stressen und ich werde gespannt auf die nächsten Fortsetzungen warten Smile
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BeitragThema: Re: Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden)   Noch titellos (Titel wird ergänzt, wenn vorhanden) EmptySo Dez 16, 2007 8:07 pm

Ja, sei ruhig mal gespannt.
Ich glaube nämlich, dass ich nun eine passende Überleitung zum (langen) Schlussteil gefunden habe! cheers
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